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Thursday, May 6, 2021

Volleyballer Patch: "Viele sagen Danke, auch die Fußballer" - kicker

Benjamin Patch ist der erste offen queere männliche Sportler in einer deutschen Profiliga. Dem kicker öffnet sich der 26-Jährige im Interview.

Was war die Motivation für Ihr Outing als queer, Herr Patch?

Je älter ich werde, desto mehr realisiere ich, dass viel von dem, was wir als Menschen machen, nur den Ideen anderer folgt, dem, was andere über Sport, Sexualität, Religion oder die Eröffnung eines Cafés denken und vorleben. Ich wollte aber eine eigene Idee von mir haben und der folgen. Und dabei habe ich über mich herausgefunden, dass ich eine offene und eben queere Person bin. Meine Motivation ist es nun, auch andere Menschen dazu zu bringen, über sich nachzudenken, eigene Ideen zu entdecken - und die auch zu zeigen. Neugierde ist eine so starke Kraft.

Wie haben ihre Mitspieler, die Fans, der Verein, ihr Umfeld reagiert?

Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, ich war nicht an einem Tag hetero und dann plötzlich queer. Ich bin nur erst im Herbst 2020 von einer Zeitung dazu befragt worden. Die Reaktionen meiner Mitspieler waren dennoch toll. Wenn du mit dir selbst im Reinen bist, haben deine Mitmenschen ohnehin kaum eine andere Möglichkeit, als zu lernen, auch mit dir im Reinen zu sein.

In Berlin wird es Ihnen sicher auch einfacher gemacht, als queerer Mann Sie selbst zu sein. Was hat der Wechsel und der Umzug nach Berlin für Ihre Lebensweise bedeutet?

Es schadet nicht, in Berlin zu wohnen, das stimmt. Es ist eine große Stadt mit einer kraftvollen Community, Berlin ist aus seiner Geschichte begründet zu großen Teilen tolerant und offen. Das hat mich in dem Kampf, ich selbst zu sein, total unterstützt. Ich hätte das auch in einer anderen Stadt schaffen könnne, aber es wäre viel schwerer gewesen.

Sie haben vorher in Vibo Valentia gespielt, einer kleinen Stadt in der süditalienischen Region Kalabrien. Das war in jeder Hinsicht ein anderes Leben, oder?

Ja. Das Leben da hatte seine eigene Schönheit, ich war nah am Meer, es gab leckeres Essen, tolle Menschen, Kultur und Bräuche. Aber ich habe als Typ nicht dorthin gepasst. Ich bin aus den USA nach Italien gezogen und war das erste Mal auf mich alleine gestellt, das war schwierig. Ich konnte dort nicht zu 100 Prozent ich sein, sondern war eine unvollständige Version von mir.

Muss ein Profi-Sportler als Mensch mit sich im Reinen sein, um sein ganzes Potenzial abrufen zu können?

Ja, das glaube ich. Das gilt ja auch für unser Potenzial über den Sport hinaus. Ich bin überzeugt davon, dass wir Menschen dafür im Kern unseres Seins klar und ehrlich zu uns selbst sein müssen. Das bin ich, seit ich in Berlin lebe und das hat sich auf den Volleyball übertragen. Ich muss nichts verstecken, wenn ich morgens aufwache und wenn ich unter Menschen bin. Das ist ein tolles Gefühl, nur ich selbst sein zu können.

Wir trauen unseren Mitmenschen zu wenig zu.

Vermutlich auch eine große Erleichterung.

Ja, und eine riesige Motivation. Sobald du realisiert hast, dass du einfach sein wahres Ich zeigen kannst, wirst du auch von den positiven Reaktionen darauf überrascht werden. Die größte Angst vor einem Outing ist ja die vor negativen Reaktionen darauf. Und da trauen wir unseren Mitmenschen zu wenig zu. Andere Sportler, die sich ein Outing nicht trauen, sollten sich darum nicht sorgen. Sie wären überrascht, wie Trainer, Mitspieler und Fans sie akzeptieren würden. Und die, die es nicht tun, dürfen einen nicht interessieren.

Das ist natürlich leicht gesagt, wenn man ein großes Selbstbewusstsein hat und in Berlin wohnt ...

Natürlich ist nicht jeder in so einer priviligierten Position wie ich. Es wird nicht bei jedem so reibungslos geschehen wie bei mir. Du benötigst eine Community, ein Umfeld. Aber ich glaube, dass wir einer so vernetzten Welt leben, dass jeder dort Solidarität findet, wenn er sie benötigt.Was auch immer jemand in sich unterdrückt, er wird Menschen finden, die ihn unterstützen und ihm beistehen, vielleicht sogar im direkten Umfeld.

Haben Sie nach Ihrem Outing auch negative Reaktionen erreicht?

Ich habe nicht danach gesucht. Ich habe viele schöne Nachrichten von anderen Sportlern bekommen, aber meine Intention war es nicht, Reaktionen darauf zu bekommen. Ich wollte nur ich selbst sein und andere zu so einem Schritt motivieren.

Mit den Berlin Recycling Volleys wurde Benjamin Patch (Mi.) zum zweiten Mal deutscher Meister.

Mit den Berlin Recycling Volleys wurde Benjamin Patch (Mi.) zum zweiten Mal deutscher Meister. imago images

Man kann den Reaktionen aber nicht komplett ausweichen, nicht in den Sozialen Medien, nicht in den Stadien oder den Sporthallen. Ist diese Breitenwirkung für Profisportler der bedeutendste Grund, sich nicht zu outen?

Ja. Das Letzte, was ein Profisportler möchte, ist, in seiner Freizeit und in seiner Vorbereitung auf den Sport abgelenkt zu werden. Ein Outing würde viel Aufmerksamkeit, viel Wirbel mit sich bringen. Das kostet Energie. An einem freien Tag willst du nicht hunderte Anrufe zu einem Zeitungsartikel bekommen. Das ist dann keine Angst vor dem Inhalt der Reaktionen, sondern vor der Menge. Und vielleicht haben andere Sportler Angst vor finanziellen Folgen, das scheint mir in Europa eine größere Sorge zu sein als in den USA. Da haben die Sportler mehr Macht und trauen sich mehr zu.

Aber das stimmt doch nur bedingt. Colin Kaepernick hat auch wegen seines politischen Aktivismus erhebliche Probleme, einen neuen Verein zu finden.

Das stimmt, aber in diesem Fall hat es einen viel größeren Kreis gezogen als ein Outing.

Steht Ihr Outing der weiteren Karriereplanung im Weg? Die Spitzenligen in Polen und Russland sind aufgrund der weit verbreiteten Homopobie im Land vermutlich keine Option, oder?

Ich weiß nicht, ob mir meine Sexualität das Leben dort schwieriger machen würde. In den großen Städten wäre das schon möglich, denke ich. Man müsste sich aber geschickt anstellen.

Welche Rolle kann der Volleyball, können Sie im Prozess hin zu einer offeneren, toleranteren Gesellschaft einnehmen?

Ich finde es total interessant, dass ein kleinerer Sport wie Volleyball in diesem Fall eine Vorreiterrolle für andere, auch größere Sportarten wie den Fußball hat. Ich bekomme auch Nachrichten von Fußballern und anderen Profisportlern, die sich bei mir bedanken. Es tut mir sehr leid für jeden, der nicht sein wahres Ich zeigen kann. Alle lieben ihren Sport, aber alle würden ihn noch mehr lieben, wenn sie sich selbst auch lieben würden. Ich hoffe, dass sich viele von ihnen klarwerden, dass sie wichtiger sind als ihr Sport. Sie sollten lieber ehrlich zu sich selbst sein.

Es wäre einfach schön, wenn jede Form der Sexualität normal wäre.

Raten Sie ihnen zu einem Outing?

Nein, weil es die persönliche Entscheidung jedes Einzelnen ist und ich auch nicht glaube, dass dafür ein öffentliches Statement nötig ist. Ich rate ihnen nur, sie selbst zu sein und damit offen umzugehen. Dafür müssen sie selbstbewusst sein.

Aber ein offener Umgang wäre in vielen Fällen dasselbe wie ein öffentliches Outing.

Es wäre einfach schön, wenn jede Form der Sexualität normal wäre und kein Thema. Man muss auch nicht jede Neugierde oder jedes Abenteuer labeln.

Ist das eine Hoffnung für die Zukunft?

Ja. Und ich wünsche mir, dass wir uns unabhängig von Herkunft oder Sexualität respektvoll begegnen, dass wir uns weniger um Bezeichnungen kümmern und mehr um die Menschen um uns herum.

Interview: Patrick Kleinmann

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