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Monday, April 26, 2021

Von den Niederlanden bis nach Italien: Trotz hoher Inzidenzen – warum öffnen viele europäische Länder? - Tagesspiegel

Einige Länder haben ähnliche Inzidenzen wie Deutschland, manche sogar höhere – und sie lassen dennoch mehr Normalität zu. Das sind die Gründe.

Jan-Dirk Herbermann Lou Siebert
In Lausanne genießen die Menschen bereits seit dem 19.April die Außen-Gastronomie am Genfer See.Foto: AFP/Valentin Flauraud

In Deutschland, wo die Sieben-Tage-Inzidenz am Dienstag bei 167,6 lag, greift in vielen Kreisen die sogenannte Bundesnotbremse. Wenn Regionen über einem Corona-Inzidenzwert von 100 liegen, gelten verschärfte Maßnahmen, zum Beispiel Ausgangsbeschränkungen zwischen 22 und 5 Uhr. Einige Nachbarländer, aber auch Italien und Spanien haben teils höhere Inzidenzwerte – und öffnen dennoch. Warum was gelockert wird und welche Risiken das bergen kann.

NIEDERLANDE (INZIDENZ 335)

In den Niederlanden gibt es schon seit Mitte Januar Ausgangssperren, seitdem sind die Infektionszahlen nicht deutlich gesunken. Auch deshalb wird unter anderem trotz der hohen Zahl an Neuinfizierten die Ausgangssperre am Mittwoch wieder aufgehoben. Ministerpräsident Mark Rutte sprach von einem „akzeptablen Risiko.“

Er begründete den Schritt mit der zunehmenden Zahl von Impfungen. Dadurch erwartet er Anfang Mai einen Rückgang der Infektionen. „Wir sind natürlich froh, dass dies wieder möglich ist, denn die Gesellschaft sehnt sich nach mehr Freiheit“, sagte Rutte.

Viele hatten sich auch gar nicht an die Maßnahmen gehalten. „Die niederländische Mentalität gegenüber der Ordnungsmaßnahmen ist auch nicht so vorbildlich“, erklärt Otto Fricke, Bundestagsabgeordneter der FDP. Fricke ist Niederlande-Kenner, wohnt in der Grenzregion und spricht fließend niederländisch. Er sagt: „Der Druck der niederländischen Bevölkerung ist hoch.“

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Am Mittwoch darf nun auch wieder die Außengastronomie von 12 bis 18 Uhr für alle öffnen. Feste Sitzplätze und eine Reservierung sind dabei Pflicht. Außerdem dürfen nur maximal zwei Hausstände an einem Tisch sitzen und maximal 50 Menschen in einem Restaurant. Ein negativer Testnachweis ist notwendig.

Versuchsweise gab es auch schon ein Fußballspiel mit 5000 getesteten Zuschauer:innen, im Mai folgt ein Konzert mit 3500 Personen. Das Konzept dahinter? „Ich glaube, dass die Coronamüdigkeit eine große Rolle spielt“, sagt Fricke. „Außerdem gibt es weniger Treffen drinnen, wenn die Leute rausgehen.“ Dass die Öffnungen etwas mit einem neoliberalen Regierungsstil zu tun haben sollen, sei aus seiner Sicht Quatsch. „Das wird ganz breit getragen von Politik und Gesellschaft.“

ITALIEN (INZIDENZ 153)

In Italien ist seit Montag die Außengastronomie wieder geöffnet – allerdings in engen Grenzen: nur in den so genannten gelben Zonen dürfen nun Pasta und Bistecche serviert werden und dies nur an Gruppen bis zu vier Menschen und an Tischen auf Abstand. Um 22 Uhr, dem Beginn der Sperrstunde, müssen die Gäste wieder zu Hause sein.

Ab Juni soll, zwischen fünf Uhr morgens und 18 Uhr abends, auch wieder drinnen serviert werden dürfen. Gelb sind aktuell immerhin 15 der 20 italienischen Regionen, darunter Rom und Umgebung, die Toskana und Südtirol. In den Hoch- und Höchstinzidenz-Gegenden bleibt allerdings alles beim Alten, Dort darf die Gastronomie weiter nur Essen zum Abholen anbieten.

„Mit der heutigen Entscheidung ist die Regierung bewusst ein Risiko eingegangen, das auf der Verbesserung der Daten beruht“, begründete Regierungschef Mario Draghi die Lockerungen. Die Zahlen geben gerade so viel Hoffnung, dass das Experiment möglich scheint: Sterbefälle und Infiziertenzahlen gehen zurück.

Doch Gesundheitsminister Roberto Speranza warnt: „Wir geben damit ein Zeichen, dass es wieder Richtung Öffnung geht, aber dann werden wir die Lage Woche für Woche beurteilen“, sagte er. „Es geht uns besser, aber noch immer sterben viele oder liegen im Krankenhaus.“

Zuletzt war der Druck auf Italiens Regierung sehr stark gestiegen: Die umsatzstarke Gastronomie machte ihrer Wut auf den Lockdown in teils gewalttätigen Demonstrationen Luft, und auch die rechten Parteien – Silvio Berlusconis Forza Italia und Matteo Salvinis Lega – die Premier Mario Draghi in seine Koalition aufgenommen hat, forderten Lockerungen. Salvini sammelte zuletzt sogar Unterschriften gegen die nächtliche Ausgangssperre der eigenen Regierung.

In Rom haben seit Montag die Restaurants im Außenbereich geöffnet.Foto: REUTERS/Yara Nardi

SCHWEIZ (INZIDENZ 163)

Rund um den Genfer See herrscht in diesen Tagen Hochbetrieb. Straßencafés, und Außenbereiche der Bistros und Restaurants sind voll, das vergangene Sonnen-Wochenende brachte vielen Gastronomen in Genf einen warmen Geldregen. Die Geschäfte von Gaststätten laufen auch in anderen Städten und Regionen der Schweiz wieder an. Am 19. April hatte die Schweizer Regierung Öffnungsschritte eingeleitet.

Nach einem langen Corona-Winter genießen die Bewohner des Alpenlandes mehr Freiheiten: Veranstaltungen mit Publikum sind erlaubt, etwa in Sportstadien, Kinos, Theater und Konzertlokalen. Sportliche und kulturelle Aktivitäten in Innenräumen sind möglich, ebenso gewisse Wettkämpfe.

Die Terrassen der Gastrobetriebe können Gäste empfangen. Überall gelten jedoch Einschränkungen: So darf die Maske nur während des Verzehrs abgelegt werden. „Die Lage ist zwar weiterhin fragil, das Risiko einer weiteren Öffnung ist für den Bundesrat aber vertretbar“, begründete der Bundesrat die Lockerungen. Zudem, so erklärte der sozialdemokratische Gesundheitsminister Alain Berset, mache die Durchimpfung der Risikogruppen Fortschritte.

Von ganz harten Maßnahmen im Kampf gegen Corona wie Ausgangssperren schreckt die Schweizer Regierung seit Beginn der Krise zurück. Insofern passen die Lockerungen in Berns Strategie, die Freiheiten der Menschen nicht zu stark einzuschränken. Zudem pochten viele Kantone und die einflussreichen Wirtschaftsverbände auf mehr Normalität.

Bei Gesundheitsexperten stößt diese Politik jedoch auf Kopfschütteln. „Schwer nachzuvollziehen, wie man sich so kurz vor dem Ziel noch ins eigene Knie schießen kann“, sagt der Berner Epidemiologe Christian Althaus über die Regierung. Die meisten Vertreter der Wissenschaft empfehlen Lockerungen erst bei einer deutlichen Entspannung der Corona-Lage. Dass noch längst keine Entwarnung gegeben werden kann, machte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) am Samstag klar: Laut BAG wurde der erste Fall der gefährlichen indischen Covid-19-Variante in der Schweiz erfasst.

ÖSTERREICH (INZIDENZ 176)

Österreich kündigt trotz hoher Infektionszahlen für den 19.Mai eine Lockerung fast aller Corona-Einschränkungen an. „Diese Öffnungsschritte erfolgen mit strengen Sicherheitskonzepten, aber sie erfolgen“, sagte Kurz. Er setzt dabei auf ein Sicherheitskonzept, wonach es bei Hotellerie, Gastronomie, Sport und Kultur Eintrittstests geben soll. Bei den Lockerungen haben auch der gestiegene Druck aus der Wirtschaft und der Bürger eine Rolle gespielt.

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Österreich setzt dabei vor allem auf Massenimpfungen. Rund zwei Millionen der knapp neun Millionen Einwohner sind bislang mindestens einmal geimpft, bis Mitte Mai soll die Zahl auf drei Millionen steigen. Mit der Immunisierung der Hochrisikogruppen dürften dem Kanzler zufolge auch die Zahl der Krankenhauseinweisungen fallen – auch wenn zugleich die Zahl der Infektionsfälle wieder steigen sollte.

SPANIEN (INZIDENZ 131)

Auch Spanien bereitet sich auf ein Ende der Ausgangssperren vor. Der Alarmzustand, der im Herbst 2020 für ganz Spanien ausgerufen worden war, soll regulär zum 9. Mai enden. Er gab den Regionen das Recht, Corona-Beschränkungen für die jeweiligen Gebiete zu erlassen. Nun hat der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez eine Verlängerung des Notstands und damit den Erlass weiterer Corona-Vorschriften ausgeschlossen.

„Wir haben alle Großartiges geleistet und können jetzt einem zeitnahen Ende der Corona-Maßnahmen entgegenschauen“, begründete Sánchez die Lockerungen. Voraussetzung dafür bleibe aber, dass der Impfplan so gut voranschreitet wie bisher.

Vor allem Spaniens Hauptstadt Madrid kam zuletzt ohnehin mit nur wenigen Einschränkungen aus. Restaurants, Bars, Geschäfte und sogar Kinos und Theaters waren unter geringen Auflagen – etwa Maskenpflicht, Auslastungsgrenzen oder einer Sperrstunde ab 23 Uhr – grundsätzlich offen. Und das, obwohl die Metropole mit bis zu 400 Fällen pro 100.000 Einwohnern mit die höchsten Corona-Fallzahlen auf dem spanischen Festland hat.

Das Gesicht dieser lockeren Corona-Politik ist die Regionalpräsidentin von Madrid, Isabel Díaz Ayuso von der konservativen Volkspartei (PP). „Ich bin nicht dafür zu haben, die Gastronomie zu ruinieren“, sagte die konservative Ministerpräsidentin im Frühjahr entgegen aller Empfehlungen der Epidemiologen. Sie sieht auch bis heute keinen besonderen Handlungsbedarf. Bei dieser Aussage dürfte sie allerdings auch die anstehenden Kommunalwahlen am 4.Mai.

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