Wenn werdende Eltern nach der richtigen Klinik suchen, fehlen ihnen oft die richtigen Informationen. Der hr hat Qualitätsberichte analysiert und nachgefragt. Viele Kliniken haben zu wenige Hebammen - und einige sind mit Mängeln auffällig geworden.
Welche Klinik ist die richtige für die Geburt des eigenen Babys? Es ist wegen Corona nicht einfach, an Informationen zu bekommen - man kann Kliniken derzeit nicht einfach besuchen und sich dort umschauen. Vielen werdenden Eltern sei aber auch nicht klar, worauf es ankommt, sagt die Darmstädter Geburtsmedizinerin Maike Manz: "Sie denken: Die medizinische Versorgung ist doch in allen Kliniken mehr oder weniger gleich gut, Unterschiede gibt's vielleicht bei Parkplätzen oder der Wandfarbe." Tatsächlich unterschieden sich die Krankenhäuser aber deutlich.
Das wichtigste Element in einer guten Geburtsklinik: gut ausgebildetes Personal, und zwar genug davon. Frank Louwen, Chef der Geburtsklinik am Frankfurter Universitätsklinikum und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, betont: "Die entscheidende Frage ist: Wer ist bei mir, wenn ich mein Kind bekomme? Sind ausreichend Hebammen vorhanden, damit ich gut unterstützt werde? Sind rund um die Uhr qualifizierte Ärztinnen und Ärzte vor Ort?"
Oft nicht genügend Hebammen
In Zusammenarbeit mit dem gemeinnützigen Science Media Center hat der hr Daten der Qualitätsberichte der Kliniken ausgewertet - und bei den hessischen Kliniken nachgefragt: 25 der insgesamt 44 Geburtskliniken haben geantwortet. Neben Daten zur ärztlichen Versorgung war vor allem die Betreuung durch Hebammen von Interesse.
Kreißsaal-Navigator
Um werdenden Eltern die Suche nach einer geeigneten Klinik zu erleichtern, hat das Science Media Center zwei Angebote erstellt:
Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe empfehlen eine Eins-zu-eins-Betreuung - eine Hebamme sollte nur eine Gebärende betreuen. Das sei aber in den meisten Kliniken nur selten zu erreichen, erklären Fachleute übereinstimmend.
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Elf Kliniken haben Zahlen gemeldet, die die medizinische Leitlinie erfüllen: das Hochwaldkrankenhaus in Bad Nauheim (Wetterau), das Krankenhaus Bad Soden (Main-Taunus), das Klinikum Darmstadt, das Bürgerhospital und die Universitätsklinik in Frankfurt, das Klinikum Fulda, die Uniklinik Gießen, das Klinikum Hanau, das Ketteler-Krankenhaus in Offenbach, das Asklepios-Klinikum in Schwalmstadt (Schwalm-Eder) und das St.-Josefs-Hospital in Wiesbaden. Die anderen Kliniken lagen unter Soll, haben nicht geantwortet oder arbeiten nur mit Beleg-Hebammen.
Hessen hat besonders viele kleine Kliniken
Rund 52.000 Babys kamen 2018 in den 44 hessischen Geburtskliniken zur Welt, jüngere Zahlen liegen nicht vor. Etwas weniger als die Hälfte kamen in den großen Häusern mit Versorgungsniveau 1 oder 2 zur Welt. 56 Prozent der Kinder wurden in Kliniken geboren, die in der Einteilung nach Versorgungsniveau den niedrigeren Leveln 3 und 4 angehören.
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Die Darmstädter Ärztin Maike Manz hat als Hebamme und junge Ärztin in kleinen Kliniken Nachtschichten erlebt, in denen sie dringend den Rat einer erfahrenen Kollegin gebraucht hätte: "Da man aber weiß, dass die- oder derjenige schon eine Schicht hinter sich hat und die nächste Schicht vor sich, überlegt man dreimal, ob man mitten in der Nacht anruft, vielleicht auch mehrfach."
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Immerhin etwa zehn Prozent aller Geburten verlaufen kritisch. In Level-1-Kliniken wie in Darmstadt sind die Wege vom Kreißsaal zum OP kurz, falls es zu Komplikationen kommt. Auch sind in den Level-1- und Level-2-Kliniken rund um die Uhr Kinderärzte, Gynäkologen und Anästhesisten greifbar. In Level-3- und Level-4-Kliniken hingegen müssen die Fachärzte nur in Rufbereitschaft sein.
Vier Kliniken in Hessen auffällig
Das Science Media Center hat die Qualitätsberichte der Kliniken für das Jahr 2018 ausgewertet. Dort wurden vier hessische Kliniken auffällig hinsichtlich der Zahlen der Kaiserschnitte und der sogenannten kritischen Outcomes, womit gesundheitliche Probleme bei den Neugeborenen gemeint sind.
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Björn Misselwitz ist Leiter der Landesstelle für Qualitätssicherung in Hessen. Er weiß, dass diese Warnsignale auch auf Ausreißer zurückgehen können - trotzdem hält er beide Faktoren für aussagekräftig: "Aus unseren Erfahrungen aus Hessen kann ich sagen: Wenn Sie beim kritischen Outcome ein auffälliges Ergebnis haben, steckt tatsächlich meistens auch ein Problem dahinter. Wenn hier eine Klinik rechnerisch auffällt, ist sie häufig auch qualitativ auffällig."
Das gleiche gelte für die Rate der Kaiserschnitte (die aufs Risiko umgerechnet wird): "Es gibt selbstverständlich Schwangere, die einen Wunsch-Kaiserschnitt möchten. Aber wenn Sie eine Klinik mit einer Kaiserschnittrate von 50 Prozent haben, dann kann in der Klinik etwas nicht stimmen."
Expertenforderung: Mehr Personal an weniger Kliniken
Heißt das nun, dass alle Geburten in Perinatalzentren stattfinden sollten? Qualitätssicherungsexperte Misselwitz betont, dass viele kleinere Kliniken bei unproblematischen Geburten durchaus empfehlenswert seien - entscheidend sei, dass Risiken erkannt und beispielsweise Mütter mit drohender Frühgeburt rechtzeitig verlegt würden.
Experten wie der Uniklinik-Professor Frank Louwen empfehlen hingegen, Kliniken streng zu zentralisieren - so wie in Skandinavien. Dort sei die Zahl der Kindersterblichkeit nur halb so hoch wie in Deutschland, wo immer noch drei von 1.000 Kindern sterben.
In Hessen etwa könne man die Anzahl der Kliniken auf knapp die Hälfte reduzieren, meint die Geburtsmedizinerin Maike Manz. Trotzdem hätten werdende Familien höchstens einen Weg von 20 bis 30 Minuten bis zum nächsten Kreißsaal.
Sendung: hr-fernsehen, Die Ratgeber, 26.04.2021, 18.45 Uhr
Viele Geburtskliniken in Hessen haben zu wenige Hebammen - hessenschau.de
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