Analyse
Stand: 29.04.2021 07:33 Uhr
Impfen, Reformen angehen, Jobs schaffen: Seine Rede im Kongress nutzte US-Präsident Biden, um Erfolge und Ziele zu betonen - aber auch, um den Zusammenhalt zu beschwören. Nur über ein Thema sprach er kaum.
Von Katrin Brand, ARD-Studio Washington
"Amerika ist wieder in Bewegung", sagt Joe Biden. Seine Regierung impfe die Nation und schaffe Hunderttausende Jobs, sie liefere echte Ergebnisse, die die Menschen in ihren eigenen Leben sehen und spüren könnten. Am Vorabend vor seinem 100. Tag im Amt war der US-Präsident eingeladen worden, den US-Senatoren und Abgeordneten seine Baupläne für die Zukunft des Landes vorzustellen. Das haben wir daraus mitgenommen:
"Wir haben das zusammen gemacht" - Bidens große Umarmung
Das Wort, das Bidens Vorgänger Donald Trump gefühlt am häufigsten benutzte, war "Ich". Biden selbst spricht (fast) immer nur vom "Wir": "Wir sind Amerika", hieß die Botschaft seiner gut einstündigen Rede. "Wir haben in den Abgrund geschaut", aber wenn dieses Land zusammenstehe, gebe es nichts, was nicht gehe.
Diesem Amerika versuchte der Präsident, Mut zu machen: Amerika bewege sich, Amerika sei zurück, Amerika sei auf dem Weg nach vorn. Und Amerika werde sich am Ende durchsetzen, nicht die Autokraten in Russland oder China.
Dass sich die Republikaner von Bidens "wir" sehr oft nicht angesprochen fühlen, griff er auf und wandte sich manchmal um Unterstützung werbend direkt an sie. Dann aber bediente er auch deutlich die liberalen Wähler der Demokraten: Den Kampf gegen systemischen Rassismus und Polizeigewalt, die Unterstützung für Trans-Jugendliche und schärfere Waffengesetze sprach er direkt an.
Best of 100 Tage - und kommende Erfolge
Dass er dabei ist, die Pandemie in den Griff zu bekommen, dass die Wirtschaft sich erholt und dass das Vertrauen in die amerikanische Demokratie zurückkehrt: Das rechnet sich Biden an. Inzwischen kann sich jeder, der älter als 16 Jahre ist, impfen lassen. Fast jeder Haushalt hat einen Scheck von der Regierung bekommen, das zeige Wirkung, behauptet Biden.
"Jobs, Jobs, Jobs": Das sollen die Erfolge von morgen werden. Biden will beweisen, dass man durch die Sanierung der Infrastruktur, durch Klimaschutz und durch die Stärkung der amerikanischen Industrie Millionen gutbezahlter neuer Jobs schaffen kann. Sein "Jobs-Plan" sei eine "Blaupause für Blaumänner", sagte er. Bidens Version von "America First" heißt, dass zum Beispiel Batterien, Elektro-Autos und Windräder künftig in den USA gebaut und gekauft werden sollen.
Amerikas Wähler haben an diesem Abend einen umfassenden Überblick darüber bekommen, was ihr Präsident alles vorhat. Er will unglaubliche Mengen Geld in Amerikas Zukunft stecken und damit beweisen, was eine starke Regierung alles leisten kann. Viele Amerikaner, vor allem aber die Republikaner, mögen ihre Regierungen schlank und wollen vor allem keine Steuern zahlen. Ob sich das unter Biden ändert? Das wird spannend.
Bidens Schweigen: Worüber kaum gesprochen wurde
Nach erst 57 Minuten kam Biden auf das Thema, bei dem die Amerikaner am unzufriedensten mit ihm sind: die Einwanderung. Dass an der Grenze zwischen Mexiko und den USA immer mehr Menschen eintreffen, um zum Teil auch illegal in die USA zu kommen, dafür machen vielen Amerikaner, vor allem aber die Republikaner, den neuen Präsidenten verantwortlich. Eine Lösung bot Biden nicht an, nur dass er die Fluchtursachen in Mittelamerika bekämpfen will, damit die Menschen sich gar nicht erst auf den Weg machen.
Kammerspiel: Kleiner Kreis, ruhige Stimmung
Die Rede war - anders. Schon allein, weil nur sehr wenige Senatoren und Abgeordnete im Saal saßen. Die Demokraten bemühten sich, Stimmung zu machen und die Rede immer wieder mit stehendem Applaus zu unterbrechen. Die wenigen Republikaner, die überhaupt gekommen waren, klatschten selten, buhten manchmal und guckten grimmig über ihre Masken. Für Biden war das Szenario von Vorteil, die Stimmung war konzentriert, beinahe intim. Das passte gut zu den oft leisen, nachdenklichen Phasen.
Kein Vergleich zu Trumps letzter Rede zur Lage der Nation im Februar 2020. Trump versuchte es gar nicht erst mit Versöhnlichkeit, sondern schaltete sofort in den Wahlkampfmodus. Unter anderem ehrte er den inzwischen verstorbenen, rechtskonservativen Radiomoderator Rush Limbaugh mit einer Freiheitsmedaille. Nancy Pelosi, die Grand Dame der Demokraten, hörte mit versteinerter Miene zu und zerriss am Ende ihr Exemplar von Trumps Redemanuskript. Das sei für sie sehr befreiend gewesen, sagte sie später.
Zwei Damen, ein Herr - das Bild des Abends
Biden kriegte sich gar nicht ein zu Beginn der Rede. Dass zwei Frauen über den Saal wachten, hatte es noch nie gegeben, "und es sei Zeit", freute sich der aufgekratzte Präsident. Kamala Harris steht als Vizepräsidentin auch dem Senat vor, Nancy Pelosi ist die Sprecherin des Abgeordnetenhauses. Zwei Frauen in diesen Spitzenfunktionen, das ist eine Premiere für Amerika.
Biden spalte, sagen die Republikaner
Tim Scott, der einzige Afroamerikaner unter den Senatoren der Republikaner, hatte die Chance zur Gegenrede. Scott, 55 Jahre alt und aus South Carolina, war schon beim letzten Parteitag mit einer klugen, gut präsentierten Rede aufgefallen. Diesmal zeigte er im Stil einer Fernsehansprache auf, dass Biden das Land seiner Meinung nach nicht eint, sondern auseinander treibt. Voriges Jahr seien unter Trump mehrere Hilfspakete parteiübergreifend verabschiedet worden. Biden sei das noch nicht gelungen. Sein Infrastrukturpaket sei ein liberaler Wunschzettel voller Jobkiller. Und mit dem neuen Familienpaket wolle sich die Regierung von der Wiege bis zur Uni in das Leben der Amerikaner einmischen.
Bidens Rede vor US-Kongress: Viel "Wir" und viele Pläne - tagesschau.de
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