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Saturday, March 27, 2021

Warum so viele Autoren über KI schreiben - RND

Eine ganze Weile steht Klara im Laden herum. Erst in der Mitte des Geschäfts, wo auch die Zeitschriften ausliegen. Irgendwann in einer anderen Ecke. Doch dann, endlich, darf sie mit ihrer Kollegin Rosa im Schaufenster sitzen. Neugierig und staunend betrachtet Klara von dort aus das Leben auf der Straße. Und ebenso neugierig begutachten viele Passanten die beiden. Bis dann, am vierten Tag im Schaufenster, das Mädchen Josie draußen vor der Scheibe steht, Klara zulächelt und sie anspricht: Schon am Tag zuvor habe Josie sie gesehen und sofort gewusst: „Das ist sie, das ist die KF, die ich immer gesucht habe.“ Eine KF, das ist eine künstliche Freundin.

Die künstliche Freundin ist besonders klug

Auch Klara ist sogleich von diesem dünnen, kränklich wirkenden Mädchen eingenommen. Wobei: Wahrscheinlich kann sie nicht wirklich darüber entscheiden, ob sie jemanden mag oder nicht. Schließlich wurde sie konstruiert, um eine Heranwachsende zu begleiten. Und Klara ist ein besonders gelungenes Modell: Sie ist klüger und empathischer als so manch andere KF derselben Baureihe: B2, vierte Produktserie.

Jugendliche kaufen sich eine KF, eine künstliche Freundin

In seinem gerade erschienenen Roman „Klara und die Sonne“ erzählt Kazuo Ishiguro von dieser hübschen KF, die mit ihrem dunklen Kurzhaarschnitt irgendwie französisch wirkt, wie Josie findet. Der britische Autor hat eine besondere Perspektive gewählt: Die Leser erfahren die Geschehnisse aus Sicht der Icherzählerin Klara. Sie schildert, dass Josie und deren geschiedene Mutter sich tatsächlich für sie entscheiden, mit nach Hause nehmen und wie es ihr dort ergeht. Stets ist die KF für das Mädchen da, verbringt Zeit mit der Heranwachsenden, unterhält sich mit ihr, tröstet sie.

2017 hat Kazuo Ishiguro den Literaturnobelpreis erhalten

Der 1954 im japanischen Nagasaki geborene Ishiguro, der als Sechsjähriger nach England gekommen ist und seitdem dort lebt, hat schon in früheren Romanen bewiesen, wie gut er sich in mitunter etwas seltsame Figuren einfühlen kann. Etwa in den übertrieben loyalen Butler Stevens in „Was vom Tage übrig blieb“ und in die drei jungen Protagonisten aus „Alles, was wir geben mussten“, bei denen man stets unsicher ist, ob sie Menschen oder Klone sind, die rein als Organspender dienen. Mit diesen internationalen Erfolgsromanen und weiteren Büchern hat Ishiguro nicht nur das Publikum überzeugt, sondern auch die Schwedische Akademie, die ihn 2017 mit dem Literaturnobelpreis geehrt hat. Sie pries ihn als einen Schriftsteller, „der in Romanen von starker emotionaler Wirkung den Abgrund in unserer vermeintlichen Verbundenheit mit der Welt aufgedeckt hat“. Und von unterschiedlichen Abgründen erzählt Ishiguro auch diesmal, wenn er eine Welt beschreibt, in der sich Menschen einen künstlichen Freund zulegen.

Was macht KI mit unseren Werten?

Die Frage, was solch ein künstlicher Freund oder was künstliche Intelligenz (KI) mit uns, unserem Zusammenleben, unseren Werten machen könnte, treibt derzeit besonders viele Kunstschaffende um. Die junge Wiener Autorin Raphaela Edelbauer etwa, die mit ihrem Debüt „Das flüssige Land“ vor zwei Jahren auf der Shortlist des Deutschen und auch des Österreichischen Buchpreises stand, erzählt davon in ihrem dystopischen Roman „Dave“. Darin geht es um einen Programmierer, der in einer furchterregenden Laborwelt an der Entwicklung einer „generellen künstlichen Intelligenz“ mit Namen Dave arbeitet.

Erfolgsautor Kehlmann hat gemeinsam mit KI einen Text geschrieben

Auch Erfolgsautor Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt“) setzt sich mit dem Thema KI auseinander. Vor wenigen Tagen ist sein Buch „Mein Algorithmus und ich. Stuttgarter Zukunftsrede“ erschienen. Der 46-Jährige war Anfang 2020 ins Silicon Valley gereist. Dort versuchte er, gemeinsam mit KI eine Erzählung zu schreiben. Ganz so erfolgreich war diese Zusammenarbeit, gemessen an dem daraus entstandenen Text, nicht. Irgendwann stürze der KI „die innere Logik ab, und der Text zerrinnt auf eigentümlich dadaistische Weise“, fasst der Autor zusammen – die Ebenen von KI und Kehlmann passen in diesen Passagen nicht so recht zusammen. „Für mich persönlich aber war es ein Erfolg, denn ich habe eine nicht menschliche Intelligenz wirklich kennengelernt“, schreibt Kehlmann. „Ich weiß jetzt, wie sie funktioniert, nicht auf eine abstrakte, sondern auf eine konkrete und praktische Art; ich habe mit angesehen, wie aus der dunklen Tiefe ihrer statistischen Abschätzung, in der vielleicht eines fernen Tages auch einmal Bewusstsein glimmen wird, tatsächlich konsistente Sätze entstehen.“

Berlinale-Film über humanoiden Roboter

Was kann KI, also ein von Menschen programmiertes System, das mithilfe von Algorithmen Aufgaben löst, leisten? Und: Hat diese Intelligenz Bewusstsein? Besonders diese Frage ist ein Dauerthema in Literatur und Filmen. Vor Kurzem war auf der Berlinale Maria Schraders KI-Romanze „Ich bin dein Mensch“ zu sehen. Darin geht es um eine Wissenschaftlerin (Maren Eggert), die testen soll, wie weit sich mit einem Roboter in Menschengestalt (Dan Stevens) leben lässt. Und dieser humanoide Roboter tut nicht nur immerzu Gutes, sondern ist auch noch ziemlich attraktiv.

Maschinenmenschen im Film sind auffallend attraktiv

Überhaupt sind zahlreiche Maschinenmenschen in Filmen – von Fritz Langs Roboterfrau Maria in „Metropolis“ (1927) über die Replikanten in Ridley Scotts 1982 entstandenem „Blade Runner“ (nach Philip K. Dicks Roman „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“) bis zu „Ex Machina“ von Alex Garland (2015) – ausnehmend gut aussehend. Und dabei extrem menschlich. Wahrscheinlich können wir gar nicht anders, mutmaßt Kehlmann, als uns vorzustellen, dass „ein Algorithmusdasein eine Innenseite hat“. So zeigten es uns die Science-Fiction-Filme, und es sei auch die „einfachere Annahme, denn wir Menschen neigen nun einmal dazu, uns alles menschlich vorzustellen“.

Peter Seele, Wirtschaftsethiker an der Universität in Lugano, stellt in seinem Buch „Künstliche Intelligenz und Maschinisierung des Menschen“ hingegen die These auf, dass nicht nur die Maschinen menschenähnlicher werden, sondern wir Menschen immer maschinenähnlicher, immer mehr zu einem „Datenhaufen“. Schöner und schillernder macht das die Welt nicht.

Die künstliche Freundin rührt den Leser an

Auch die Welt in Ishiguros Roman wirkt wenig verlockend. Die Menschen gehen dort seltsam distanziert miteinander um, sind in undurchschaubare Arbeitsabläufe eingebunden, und es wird streng zwischen normalen Arbeitern und einer „gehobenen“ – sprich: privilegierten – Schicht getrennt. Was man von der solarbetriebenen Klara halten soll, ist auch nicht ganz klar. Sie ist einerseits extrem schlau, andererseits reichlich dumm. Auch wenn sie das durchaus mit Menschen gemeinsam hat, stört es die Glaubwürdigkeit der Geschichte an einigen Stellen. Etwa wenn es um Klaras Versuche geht, Josie mithilfe von Sonnenstrahlen zu heilen.

Trotzdem rührt einen diese KF an. Wie es sich in Literatur und Film gehört, ist auch Klara zu Gefühlen fähig. Sie bringt sich in Gefahr, um Josie helfen zu können. Und sie hat ein weit größeres Herz als die Menschen, denen sie begegnet.

Neue Bücher über künstliche Intelligenz

Kazuo Ishiguro: „Klara und die Sonne“. Deutsch von Barbara Schaden. Blessing-Verlag. 352 Seiten, 24 Euro.

Raphaela Edelbauer: „Dave“. Klett-Cotta. 432 Seiten, 25 Euro.

Daniel Kehlmann: „Mein Algorithmus und ich. Stuttgarter Zukunftsrede“. Klett-Cotta. 64 Seiten, 12 Euro.

Peter Seele: „Künstliche Intelligenz und Maschinisierung des Menschen“. Herbert-von-Halem-Verlag. 195 Seiten, 21 Euro.

Murray Shanahan: „Die technologische Singularität“. Deutsch von Nadine Miller. Mat­thes & Seitz. 253 Seiten, 20 Euro.

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