Prim Gurung schüttelt den Kopf. Nein, sagt der Sechzigjährige in der schwarzen Steppjacke, Verständnis für die Leute, die aus dem Dorf wegziehen, habe er nicht. In Philim gebe es doch alles, was man zum Leben brauche, findet er. Etwa 200 Familien leben in dem Dorf, 120 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Kathmandu. Eine der beliebtesten Trekkingrouten Nepals führt mitten hindurch. Weil am dortigen Kontrollposten die Permits für die Umrundung des 8163 Meter hohen Manaslu oder für den Weiterweg in das von Touristen viel besuchte Tsum-Tal kontrolliert werden, legen viele Gruppen hier zumindest eine kurze Pause ein, trinken eine Cola oder essen eine Kleinigkeit. Manche übernachten auch in Philim.
Es ist ein sauberes Dorf. Kein Matsch, kein Abfall, der achtlos weggeworfen wurde. Die Wege sind mit Steinplatten gepflastert. Im Vergleich zu anderen nepalesischen Dörfern ist in Philim richtig viel los, und vor allem haben die Menschen dort dank des Tourismus die Möglichkeit, Geld zu verdienen. Auch Prim Gurung hat sich so etwas Wohlstand erarbeitet. Als junger Mann habe er für Trekkinggruppen als Träger gearbeitet, erzählt er. Das dabei verdiente Geld investierte er. Drei Häuser besitzt er heute und einen Laden, den er vermietet hat.
Und dennoch: Philim hat vieles nicht, was es anderswo gibt. Weiterführende Schulen findet man hier nicht. Genauso wenig eine Straße, auf der man das Dorf bequem erreichen könnte. An eine gute und schnelle medizinische Versorgung oder an Fabriken, in denen die Menschen Arbeit finden könnten, ist nicht zu denken. In Philim bietet neben dem Tourismus einzig die Landwirtschaft eine Einnahmequelle. Das, was auf den Feldern über den eigenen Bedarf hinaus angebaut wird, kann auf einem Markt verkauft werden. Davor muss es aber erst mühsam dorthin geschafft werden. In den vergangenen Jahren sind deshalb auch aus Philim immer wieder Frauen und Männer und auch ganze Familien weggezogen.
Es ist ein weitverbreitetes Phänomen in dem Land auf der Südseite des Himalaja. Offiziell haben 2,2 Millionen Nepalesen ihre Heimat verlassen, um im Ausland Geld zu verdienen. Die Dunkelziffer ist hoch, Schätzungen gehen sogar von 3,4 Millionen aus. Die Golfstaaten, Malaysia und Indien gehören zu den bevorzugten Ländern, in denen Nepalesen auf dem Bau, in Fabriken oder in Privathaushalten arbeiten. Wer sich in Nepal umhört, erfährt aber auch, dass es nur eine Frage des Geldes sei, in die Europäische Union zu gelangen. 10.000 Dollar koste es, dann sei man in der EU. Zunächst illegal natürlich. Aber nach ein paar Jahren habe man eine Aufenthaltserlaubnis.
In der Hoffnung auf ein besseres Leben ziehen die Menschen nicht nur ins Ausland. Laut dem aktuellen Zensus, der im Frühjahr vorgelegt wurde, leben von den 29,2 Millionen Nepalesen mittlerweile 15,6 Millionen, also mehr als die Hälfte, im Terai, dem fruchtbaren Tiefland Nepals. Das Terai umfasst aber nur 17 Prozent der Fläche des Landes. In großem Stil werden dort Gemüse und Obst angebaut. Durch den Zuzug wird der Druck auf die landwirtschaftlich genutzten Flächen immer größer. Die Menschen brauchen Wohnraum. Zugleich zeichnet sich ab, dass der Hunger der Nepalesen nach Reis – zu ihren Leibgerichten gehört Dal Bhat, eine Linsensuppe mit Reis und Gemüse – zu groß ist, um ihn im eigenen Land stillen zu können, wie die Tageszeitung „Kathmandu Post“ berichtet.
Nepal: Viele Dörfer kämpfen mit Abwanderung der jungen Bevölkerung - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung
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