Ferrari ist allen ein Rätsel. Am meisten denen, die das Auto am besten kennen. Die Story wiederholt sich von Rennen zu Rennen. Am Samstag machen gute Startplätze Hoffnung. Am Sonntag ist der SF-23 ein anderes Rennauto. Nach sieben Rennen steht nur ein Podium auf dem Konto. Das gab es noch nicht einmal im Krisenjahr 2020.
Dabei hat das aktuelle Auto viel mehr Potenzial als der Ferrari SF1000 von vor drei Jahren. Er kann es im Rennen einfach nicht umsetzen. Weil die Fahrer ihrem Auto nicht trauen können. Es ändert laufend sein Verhalten. Von Stint zu Stint, von Runde zu Runde, manchmal von Kurve zu Kurve. "Du weißt nie: Kommt jetzt Unter- oder Übersteuern", klagt Charles Leclerc.
Am Sonntag ein anderes Auto
Der GP Spanien war trotz des Generalumbaus der Seitenkästen und des Unterbodens ein Spiegel der Rennen davor. Carlos Sainz erkannte in den 66 Runden nie das Auto wieder, das ihn am Samstag auf den zweiten Startplatz getragen hatte. Der erste und der letzten Stint waren ordentlich, der mittlere miserabel. Lewis Hamilton, George Russell und Sergio Perez flogen mit dem besseren Speed vorbei. Widerstand war zwecklos.
Charles Leclerc erlebte nach seinem Start aus der Boxengasse logischerweise ein anderes Rennen. Seine Richtung zeigte nach vorne. Früher wäre der Vize-Weltmeister von 2022 selbst bei dieser Ausgangslage Vierter oder Fünfter geworden. Diesmal reichte es nur zum elften Platz. Der erste Stint verlief trotz des Tauschs der kompletten Heckpartie so schlecht wie die Qualifikation, der zweite war akzeptabel, der dritte gut. Obwohl er wie im ersten Abschnitt wieder harte Reifen fuhr.
Es sind diese Schwankungen, die Teamleitung und Fahrer in den Wahnsinn treiben. "Unser größtes Problem ist die Unbeständigkeit. Sie ist nicht zu erklären", ärgert sich Teamchef Frédéric Vasseur. Es heißt, dass in Maranello die Aerodynamiker die Schuld den Fahrwerkstechnikern in die Schuhe schieben und umgekehrt. Kein guter Ansatz.
Quali-Grip überdeckt Aero-Problem
Zu einem gewissen Grad gäbe es vielleicht doch schon Erklärungen. Der Ferrari SF-23 wäre ein gutes Rennauto, wenn die Rennstrecke ein Windkanal wäre. Auf eine Runde in der Qualifikation überdeckt der Extra-Grip frischer weicher Reifen fast alle Defizite des Autos. Es ist wie eine Welt im Labor. Die Schwachstellen treten erst am Sonntag zum Vorschein, weil ab der zweiten Runde nichts mehr ist wie am Samstag.
Dann sind die roten Autos nicht mehr alleine auf der Strecke, sondern im Verkehr. Dann sind die Temperaturen höher oder tiefer als am Tag davor. Dann bläst der Wind aus einer anderen Richtung. Dann sind 110 statt zehn Kilogramm Benzin an Bord. Dann steht die Maximal-Power des stärksten Motors im Feld nicht mehr unbegrenzt zur Verfügung.
Bei Schräganstellung, Lastwechseln oder eingeschlagenen Vorderrädern verliert der Ferrari offenbar mehr Abtrieb als die direkte Konkurrenz. Auf Bodenwellen springt er mehr. Bei Temperaturschwankungen fällt er schneller aus seinem Wohlfühlbereich. Dazu ist er extrem windanfällig. "Zwei, drei Grad oder eine andere Windrichtung können die Balance komplett verschieben", bestätigt Leclerc.
Reifen sind die Achillesferse
So viele Unwägbarkeiten in Summe führen dazu, dass das Auto ins Rutschen gerät. Das treibt die Reifentemperaturen in die Höhe und befeuert den Gripverlust. Egal auf welcher Rennstrecke. In Monte Carlo und in Barcelona hörten wir die Piloten sagen: "Wenn wir nur eine Runde attackieren, sind die Reifen im Eimer."
Ferrari kann die starke Reifenabnutzung nur begrenzen, wenn man wie in Melbourne oder Baku das ganze Wochenende diesem Thema widmet. Doch dann hat man gegen einen Red Bull, der beide Disziplinen kann, erst recht keine Chance. Und neuerdings auch gegen Mercedes nicht mehr. Ferrari hatte in Barcelona noch das Glück, dass Aston Martin außer Form war.
Vasseur räumt gewisse Defizite, wie das Fahren im Verkehr oder die Temperaturfühligkeit ein, doch das ist für ihn nicht die Antwort: "Die Probleme treten auch manchmal auf, wenn Charles und Carlos freie Fahrt haben." Leclerc insistiert: "Es ist unglaublich schwer eine Antwort zu finden, weil wir kein Muster erkennen, das uns einen Anhaltspunkt gibt. Wir können uns nicht auf eine Ursache konzentrieren. Das größte Rätsel für mich ist, dass das Auto unterschiedlich reagiert, obwohl ich das gleiche mache."
Steckt der Fehler in der DNA?
Das Upgrade mag auf dem Papier ein bisschen Rundenzeit gebracht haben, doch das ist nicht Ferraris Baustelle. Die alten Probleme sind geblieben. Carlos Sainz fordert ein besseres Verständnis von Auto und Reifen. Das ist einfacher gesagt als getan. Dieser Ferrari entzieht sich geschickt einer Analyse, warum die Balance mal passt und mal nicht. Sonst hätte man schon längst Antworten und Lösungen parat.
Wenn auch der neue Weg, der laut Vasseur Türen für andere Entwicklungsrichtungen öffnet, keine Abhilfe schafft, dann liegt der Schluss nahe, dass es sich um einen Geburtsfehler handelt, der in der DNA des Autos steckt. Zum Beispiel eine Aerodynamik, die zu spitz ausgelegt ist, weil die Ingenieure zu sehr auf Höchstwerte beim Abtrieb achten. Oder ein Fahrwerk, das nicht in der Lage ist, den SF-23 zuverlässig in dem engen Fenster zu halten, das ihm die Aerodynamik offenbar vorgibt.
Vielleicht wäre es ratsam noch einmal in die Vergangenheit zu schauen. Leclerc verstand in Monaco die Welt nicht mehr, wie sich innerhalb eines Jahres die Charakteristik eines Autos so stark verändern kann, obwohl es optisch die gleichen Wurzeln zu haben scheint. Von komfortabel zu unberechenbar, von konstant zu launisch.
Man müsste herausfinden, wann, wo und warum Ferrari im letzten Jahr bei der Entwicklung des Autos falsch abgebogen ist. Das Wann lässt sich lokalisieren. Es war das Upgrade zum GP Frankreich 2022.
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