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Wednesday, December 29, 2021

"Sehr viele Menschen sind sehr gut zu mir" - kicker

An diesem Mittwoch vor zehn Jahren begann in Freiburg eine neue Zeit: Christian Streich wurde Cheftrainer des SC. Im kicker-Interview spricht er über seine Ära.

Hinter Christian Streich liegt eine aufregende Hinrunde. Zunächst der historisch beste Freiburger Saisonstart: zehn Partien ohne Niederlage. Der Abschied aus dem kultigen Dreisamstadion, ein 6:0 in Gladbach und als Dritter liegt er mit Freiburg sogar auf Champions-League-Kurs.

Streich ist bekannt dafür, zu fast allen Fragen seine Meinung zu äußern. Zuletzt antwortete er mit der Bitte um Verständnis jedoch häufiger nicht mehr, wenn es zum x-ten Mal um Katar, Investoren in England oder politische Entscheidungen ging. Am liebsten spricht er über Fußball, den SC, sein Wirken und Leben als Trainer. Vor allem darum geht es in diesem Jubiläumsgespräch. 

Herr Streich, wurden Sie mit sechs oder sieben Jahren eingeschult?

Mit sechs, ich bin im Juni geboren.

Sie waren also einer der Jüngeren in der Klasse. Wie war das?

Man merkte, dass ich zu den Jüngeren zählte. Ich weiß noch, dass einige in gewissen Entwicklungen weiter waren. Ich war auch klein und eher schmächtig.

Inzwischen sind Sie in der imaginären Klasse der 18 Bundesliga-Trainer, in der Sie mit großem Abstand am längsten sitzen, auch der älteste. Vermissen Sie Kollegen wie Friedhelm Funkel oder Lucien Favre?

Man vermisst sie, weil wir ein paarmal gegeneinander gespielt haben und ich diese Trainer ja teilweise schon kenne, als ich sie früher als Spieler gesehen habe. Den Friedhelm mit Uerdingen oder Kaiserslautern, als sie etwa gegen Real Madrid gewonnen haben. Lucien habe ich als jungen Kerl in der Schweiz gesehen, als er gegen Basel gespielt hat. Das sind ganz schöne Erinnerungen.

Fühlen Sie sich manchmal alt gegenüber den jungen Kollegen oder immer noch auf Augenhöhe?

Ich bin faktisch älter, fühle mich aber nicht alt. Es ist schön, jungen Kollegen zu begegnen und sich mit ihnen zu messen.

Macht Ihnen das Altern zu schaffen, körperlich oder seelisch?

Körperlich ja, wegen Kniebeschwerden habe ich manchmal Probleme beim Laufen. Früher hat man ja einen Meniskus leider schnell mal rausgenommen. Im Kopf merkt man natürlich, dass man älter wird und ich keine 36 mehr bin. Aber mit 56 bin ich auch noch nicht so alt, es ist okay.

Wenn Sie sehen, dass Julian Nagelsmann eventuell noch 30 Jahre in diesem Job vor sich hat, sind Sie da froh, erst mit 46 ins Cheftrainergeschäft eingestiegen zu sein?

Es hat sich so ergeben, ich bin nicht davon ausgegangen, dass es überhaupt passiert. Ich dachte eher, ich bleibe in der Jugend. Daher war es wohl gut so, wie es gekommen ist und dass es nicht früher losging.

Bayern-Trainer Julian Nagelsmann und Christian Streich

Bayern-Trainer Julian Nagelsmann und Christian Streich. imago images/Philippe Ruiz

Sie haben zum 100-jährigen Jubiläum des kicker gesagt, dass Sie die Trainer-Interviews sehr schätzen, vor allem mit im Ausland tätigen Kollegen. Was interessiert Sie da am meisten?

Das, was sie über ihre persönlichen Erlebnisse erzählen, was sie bewegt hat, was ihnen aufgefallen ist, was sie wichtig finden. Schön ist es dann, wenn man nicht das Gefühl hat, es werden nur Phrasen bedient und der Journalist interessante Fragen stellt, auf die der Trainer interessante Antworten geben kann. Es ist ja oft abhängig von denen, die sich die Fragen überlegen, ob überhaupt ein Gespräch zustande kommt. Das ist ja dann interessant für den Leser. Schwierig ist es, wenn nur die Fragen, die auf dem Zettel stehen, hintereinander abgearbeitet werden.

Sie haben recht und damit charmant den Druck erhöht, und trotzdem möchte ich der nächsten Frage vom Zettel eine Chance geben, um zu erfahren, was sich in den zehn Jahren bewegt hat: Arbeiten Sie anders als zum Start?

Ja, in manchen Bereichen arbeiten wir im Trainerteam anders, manche Sachen sind geblieben, oder wir haben Übungen immer wieder nur ganz leicht verändert, und nach zehn Jahren sind sie ganz anders.

Kommen Ihre Ansprachen immer spontan aus dem Bauch oder haben Sie sich über die Jahre rhetorisch fortgebildet, sich von anderen Menschen inspirieren lassen?

Ich beobachte vor allem ab und an Menschen aus dem künstlerischen Bereich. Dirigenten bei einem Konzert, oder was passiert bei einem Tanz. Das hängt für mich alles mit dem Fußball zusammen, weil ich ganz viele Parallelen erkennen kann. Ich habe tolle Begegnungen gehabt, wie etwa mit dem Schauspieler Matthias Brandt oder anderen Menschen, die einem durch ihre Erzählungen viel geben können. Aber ich habe Familie, mit der will ich auch Zeit verbringen, und Zeit ist beschränkt.

Haben sich die Anforderungen an Cheftrainer verändert?

Bei mir nicht wesentlich, in anderen Vereinen ist es vielleicht anders. Jetzt müssen wir schauen, wie es weitergeht, weil wir als Verein ja wachsen, und in den zehn Jahren sind wir schon richtig gewachsen.

Cheftrainer sind auch in der Öffentlichkeitsarbeit gefragt. Wie hat sich dieser Bereich entwickelt?

Medial ist in Freiburg in der Regel nicht so viel los, das hat sich nicht so wahnsinnig verändert, glaube ich. Man weiß es manchmal gar nicht mehr so genau, wie es vor zehn Jahren war. Ich stecke in dem täglichen Prozess und reflektiere nicht so richtig, was war vor zehn Jahren.

Was Sie sicher wissen: Nach Ihrem ersten Halbjahr haben Sie mit Dortmund nur einmal einen anderen Meister erlebt. Ihre Ära ist geprägt von der Bayern-Dominanz. Langweilt Sie das?

Es ist schade, dass es nicht öfter spannender war, das ist klar, weil das schon ein Monopol ist. Die Bayern haben sich das sportlich erarbeitet, es hat also seine Berechtigung. Aber es wäre schöner, wenn mal jemand anderes Meister werden würde, damit die Konkurrenzsituation mal wieder in anderer Hinsicht angefacht wird - auch für die Zuschauer.

Was ist die größte fußballerische Veränderung in den zehn Jahren?

Das Tempo ist noch mal höher geworden, Athletik ist noch wichtiger. Taktisch insofern, dass mehrere Mannschaften mehrere Systeme spielen, das war vor zehn Jahren weniger. Durch junge Trainer ist eine Dynamik reingekommen, dadurch sind die Anforderungen gestiegen, auch für die Spieler. Man weiß jetzt nicht mehr unbedingt, wie der Gegner spielt. Außer Bayern, die verändern selten etwas, weil sie individuell so gut sind.

Sie sind an der Seitenlinie ruhiger geworden. Ist das gestiegene Gelassenheit oder auch körperlicher Tribut?

Alle genannten Punkte kombiniert. Man wird ruhiger in manchen Situationen und hat nur bestimmte Ressourcen. Aber fest steht, dass ich ruhiger geworden bin. Das haben Sie beobachtet?

Ja.

Interessant, dass es viele andere nicht sehen.

Ihre emotionalen Ausbrüche sind seltener geworden, aber es gibt sie noch, und dann stehen sie meist im Fokus.

Aber der Unterschied ist offensichtlich gegenüber vor fünf, sechs oder sieben Jahren. Manche Leute kriegen die Schublade halt nicht mehr auf, aber das ist egal, das macht nichts, ist normal. Wenn einmal wieder was passiert, wird das natürlich eingeblendet in den Zusammenfassungen.

Es ist Ihnen also wichtig zu betonen, dass Sie ruhiger geworden sind?

Ja, weil ich es immer ganz wichtig finde, dass Dinge so abgebildet werden, wie sie tatsächlich stattfinden.

Hat sich der Umgang an den Trainerbänken generell geändert, weil immer mehr gefilmt und aufgenommen wird?

Zu 99 Prozent ist es mit den Trainerkollegen total gut. Ich finde es sehr wichtig, dass man sich in der Emotion auch mal deutlich die Meinung sagen kann, wenn der eine findet, das war ein Foul, und der andere nicht.

Wenn der Max zu mir im Spiel 'Halt's Maul' sagen würde, ist es für mich gefühlt so wie 'Sei still'.

Christian Streich

Zuletzt konnte man sehen und hören, wie Gladbachs Sportchef Max Eberl von der Bank aufstand und seinem Hertha-Kollegen Arne Friedrich zurief: "Halt’s Maul, Arne!" Wie schmal ist der Grat zwischen fußballtypischem Umgang und verfehlter Vorbildfunktion?

Der ist schmal. Wenn du die ganze Zeit gefilmt wirst, kommen bei einem in der Emotion während eines Fußballspiels eben Sachen ans Licht, die nicht immer gesellschaftskonform oder dem angemessen sind, wie man eigentlich erzogen wurde, nämlich, dass man immer anständig sein sollte. Das Wichtigste ist, dass man nach dem Spiel miteinander spricht und sich entschuldigt, wenn einem mal was rausgerutscht ist, und danach sollte es gut sein. Auf das Beispiel bezogen: Wenn der Max zu mir im Spiel "Halt's Maul" sagen würde, ist es für mich gefühlt so wie "Sei still".

Vor allem bei den Geisterspielen konnten die Zuschauer vieles mithören. Haben Ihnen die Pandemiebedingungen zwischendrin die Freude genommen?

Nein. Viele Sachen waren schwierig, wir durften aber nach der kurzen Unterbrechung weiter trainieren und spielen. Das war schön, und das haben wir sehr zu schätzen gewusst.

Sie haben die Kabine mal als letzten Rückzugsort vor der Öffentlichkeit bezeichnet. In Dokumentationen geben immer mehr Trainer und Klubs exklusive Einblicke in dieses Heiligtum. Obwohl Sie es ablehnen: Schauen Sie rein und wollen dann doch wissen, wie und was zum Beispiel Hansi Flick mit der Bayern-Mannschaft besprochen hat?

Ich schaue es nicht. Das machen aber manche Kollegen im Trainerbüro, und die erzählen dann über die eine oder andere Szene. Große Trainer bei großen Vereinen haben die Kabine aufgemacht vor einigen Jahren, damals habe ich gewusst, wo es hingeht. Die Büchse der Pandora wurde geöffnet.

Warum?

Offensichtlich ist der Drang groß, alles offenzulegen, damit noch mehr Geld reinkommt. Oder es bedient das Bedürfnis, sich selber darzustellen. Bei manchen Klubs sind neue Trainer mit dem Einstieg ja quasi schon dazu verpflichtet, so was mitzumachen.

Können Sie garantieren, dass die SC-Kabine unter dem Cheftrainer Christian Streich tabu bleibt?

Nein, das kann ich nicht.

Sie könnten sagen, sonst höre ich auf.

Dann müsste ich aufhören, meinen Beruf und den Fußball abgeben, weil es Usus wird und Druck entsteht, Kameras reinlassen zu müssen?

Das könnte eine rote Linie für Sie sein.

Das könnte eine rote Linie sein, ich frage Sie aber: Wie kamen die auf die Idee, die Kabine aufzumachen?

Der in vielen Aspekten gläserne US-Profisport hatte auf solche Entwicklungen großen Einfluss.

Der interessiert mich aber nicht. Sonst könnten wir es doch auch gleich so machen, dass irgend- einer den SC Freiburg kaufen kann, und wenn er Bock hat, dann zieht er nach Hamburg und nimmt den SC Freiburg mit. Das machen die in Amerika ja auch.

Eine solche Entwicklung zeichnet sich in Europa glücklicherweise nicht ab, und gegen eine Kabinenöffnung könnten Sie sich wehren.

Wenn alles aufgemacht werden soll, dann soll es so sein. Ich kleine Person werde daran nullkommanull verändern können.

In Ihrem Verein schon.

Es hätte nur eine Möglichkeit gegeben: Wenn die großen Trainer in England, die damit angefangen haben, Nein gesagt hätten. Dann hätte man sich dem gemeinsam verschließen können. Aber es besteht daran ja kein Interesse.

Sie müssten aber trotzdem nicht mitmachen. Noch mal: Ist es eine rote Linie für Sie oder dann doch okay?

Nein, für mich ist es nicht okay. Ich finde es extrem schade, aber offensichtlich finden es viele toll.

Ich möchte in die Kabine gehen und wissen, da hockt der Nils, da der Christian, hier sind wir unter uns und können Probleme besprechen.

Christian Streich

Sie werden also einiges dafür tun, dass es beim SC Freiburg so schnell keine Doku mit Kabineneinblick gibt?

Ja, weil der letzte Raum der Intimität extrem wertvoll ist. Nicht, weil wir etwas geheim halten wollen oder ich Angst vor etwas habe. Wir sind nur noch in ganz wenigen Momenten geschützt. Ich möchte in die Kabine gehen und wissen, da hockt der Nils, da der Christian, hier sind wir unter uns und können Probleme besprechen. Wir sind schon so viele Menschen, 30, 40 in einem sehr kleinen Raum. Das ist nicht zu viel verlangt, einen solchen Raum noch haben zu dürfen.

Sie sagten in Ihrer Anfangszeit, Sie machen diesen Job auch aus Eitelkeit, um Anerkennung für die Leistungen zu bekommen. Seit Jahren fliegen Ihnen die Komplimente nur so um die Ohren. Hat die Eitelkeit nachgelassen?

Sie fliegen mir nicht um die Ohren.

Aber Sie bekommen verhältnismäßig sehr viele Komplimente, bemerkenswerterweise auch von Verantwortlichen und Fans der Konkurrenz.

Ja, sehr viele Menschen sind sehr gut zu mir.

Hat deswegen die Eitelkeit nachgelassen?

Ich glaube nicht.

Wird man süchtig nach Anerkennung?

Das kann gut sein, dass man auch süchtig danach ist. Es geht darum: Wenn man lange Trainer an einem Ort ist, was wenige sind, wird man erkannt, auch weil man zehn Jahre im Fernsehen und in den Medien zu sehen ist. Es werden Verbindungen geschaffen, bei uns auch im positiven Sinne. Es wird aber auch viel in einen hineininterpretiert, und damit ist gar nicht so leicht umzugehen.

Ist Ihnen das ganze Lob für Sie und den SC manchmal unheimlich?

Es gibt Gründe, warum es in den letzten Jahren, respektive Jahrzehnten, also auch vor mir, gut lief. Das sehen die Leute, und es ist schön, wenn sie einen loben. Aber es ist nicht immer einfach damit umzugehen, wenn man als Person so im Fokus steht. Manchmal wird man auf ein Podest gehoben, aber das kann auch wacklig sein und man kann von dort tief abstürzen. Das ist das Risiko.

Haben Sie Sorge davor?

Nein, aber mir wäre es viel lieber, wenn ich weniger im Fokus stünde. Wenn man eine öffentliche Person ist, hat man nie einen ganz ruhigen Puls. Ich zumindest nicht, weil ich zum Beispiel nie jemanden beim Guten-Tag-Sagen vergessen möchte. Das ist auch anstrengend und zehrt. Man muss aufpassen, was man sagt, wobei ich nicht wahnsinnig aufpasse, was ich sage - zum Glück. Aber wahrscheinlich passe auch ich immer mehr auf. Das Rampenlicht ist mir immer noch manchmal fremd und der Umgang mit Medien und den Erwartungen ist nicht unkompliziert.

Christian Streich im Gespräch mit kicker-Reporter Carsten Schröter-Lorenz.

Intensiver Austausch: Christian Streich im Gespräch mit kicker-Reporter Carsten Schröter-Lorenz. AKE

Sie meinen, sich treu zu bleiben?

Ja, die eigene Linie zu wahren. Wenn man das zehn Jahre im selben Verein macht, hören die Leute ja immer das Gleiche, was man erzählt, wollen aber auch mal was anderes. Es sind Abnutzungsprozesse, es ist auch normal, dass es auch die Sehnsucht nach einem neuen Gesicht, etwas anderem gibt, denn dann kann man ja wieder neue Storys machen.

Es gibt aber noch keine Anzeichen dafür, dass sich die Menschen nach einem Nachfolger für Sie sehnen. Im Gegenteil. Führt das auch mal dazu, dass Sie sich in den Komplimenten sonnen und etwas weniger arbeiten?

Dafür bin ich nicht der Typ, aber natürlich gibt es unterschiedliche Phasen. Ich fühle mich auch gebauchpinselt, wenn ich gelobt werde, versuche es aber einzuordnen. Ich freue mich am meisten, wenn man gelobt wird, weil die Mannschaft gut kickt. Bei mir gab und gibt es in der Zwischenzeit viele Geschichten drum herum, weil ich gerne Journalisten Antworten gebe, auch wenn es in deren Fragen nicht um Fußball geht. Da muss man aber aufpassen, dass es nicht ins Endlose geht. Man könnte sagen, wir reden jetzt nur noch über Sport, das ist aber auch langweilig und den Journalisten gegenüber ungerecht. Man will dem auch gerecht werden, muss aber Leitplanken setzen.

Der Profisport ist ja auch deshalb so populär, weil sich die Leute für die Protagonisten interessieren.

So ist es, es geht mir ja auch so, es wird so transportiert, aber es ist daher sehr komplex.

Interview: Carsten Schröter-Lorenz

Lesen Sie am Donnerstag den zweiten Teil des Interviews.

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