Ein einziges Zeichen in einem Text kann reichen, um 2021 enorme Diskussionen auszulösen. Die Rede ist von *, : oder _, die verwendet werden, um Worte zu gendern. Etwa aus dem Wort Professor wird dann Professor*innen, Professor:innen oder Professor_innen. Der Gedanke: Statt Professoren sagen und die Professorinnen bei der männlichen Form mitmeinen, klarmachen, dass auch Frauen diesen Beruf ausüben.
Auch wenn bisher nur recht wenige Institutionen und Medien die sogenannte geschlechtergerechte Sprache nutzen, sorgt das Gendern doch für enorme Diskussionen. Manche fühlen sich auch ohne Gender-Pflicht schon bevormundet und fordern ein Genderverbot, andere befürchten Schaden an der deutschen Sprache, wieder andere stört es schlicht beim Lesen von Texten.
Probleme mit Gender-Zeichen
Während es vielen bei Letzterem vor allem um Ästhetik geht, können die Symbole für blinde und sehbehinderte Menschen tatsächlich zum Lese-Problem werden. So empfiehlt der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) auf Gender-Sternchen und Co. zu verzichten - auch wenn er sich geschlechterneutraler Sprache grundsätzlich nicht verschließt.
Grund für die Sternchen-Verzicht-Empfehlung sind die Assistenzsysteme, die Blinden und Sehbehinderten beim Lesen von Texten helfen sollen. Das kann Software sein, die Texte für Sehbehinderte vergrößert darstellt, aber auch Software, die Texte vom Bildschirm aus vorliest. Hinzu kommen tastbar gemachte Texte in Brailleschrift, umgangssprachlich Blindenschrift.
Vor allem Vorlese-Probleme
Vor allem beim Vorlesen können die Gender-Symbole laut DBSV zum Problem werden, etwa wenn eine Software, ein Screenreader, sie überliest oder dezidiert vorliest. Zum Beispiel: Leser*innen kann dann zu "Leser Sternchen Innen" werden, beziehungsweise zu "Leser Unterstrich Innen". Auch der Doppelpunkt liefert keine komplette Abhilfe. Da sehbehinderte und blinde Menschen anders als Sehende nicht querlesen können, sondern sich jeweils alles anhören müssen, kann das für Irritationen beim Lesen führen, wie etwa Robbie Sandberg, Jugendreferent beim DBSV, gegenüber dem Deutschlandfunk erklärt.
Auch der blinde IT-Experte Oliver Nadig bestätigt das Problem gegenüber BR24. Außerdem fügt er hinzu, dass die Symbole auch beim vergrößerten Lesen, die ohnehin herabgesetzte Lesegeschwindigkeit weiter verringern können und bei Brailleschrift-Texten zu weiteren Zeichen führt, die es zu ertasten gilt.
Individuelle Lösungen gibt es
Letztlich handelt es sich folglich um ein vor allem technologisches Problem. Rene Ludwig arbeitet bei JAWS, einer kostenpflichtigen Screenreader-Software, und nutzt diese als Blinder selbst täglich. Laut seiner Aussage können Nutzer bei Jaws selbst einstellen, welche Sonderzeichen wie vorgelesen werden.
* und : werden laut Ludwig bei JAWS schon jetzt als Pause gelesen. Theoretisch könne man auch definieren, dass bei "_innen" stets eine Pause statt "Unterstich innen" gelesen werde. Dazu habe es aber bisher noch keine Anfrage bei seinem Unternehmen gegeben. Auch allgemein versteht Ludwig die Aufregung um das Gendern nicht. "Da sind haufenweise verwendete Emojis viel schlimmer, wenn sie zum Beispiel im Usernamen eines Twitter-Users verwendet werden und dadurch bei jedem Tweet vom Screenreader vorgelesen werden", erklärt er gegenüber BR24.
Dieses Beispiel greift auch der Inklusions-Blogger Heiko Kunert in seinem Blog auf. So sei schließlich auch der "Zwinkersmiley" von Assistenzprogrammen lange Zeite als "Semikolon Bindestrich Klammer Zu" vorgelesen worden. In einem Blog-Eintrag zum Thema vermutet er, dass das Gendern für blinde wie auch sehende Menschen am Ende eine Gewöhnungssache sei. Darüber hinaus sieht er vor allem die Entwickler von Sprachsoftware in der Pflicht, eine nutzerfreundliche Lösung für das Gendern zu finden. In seinem Programm könne er, wie auch Jaws-Mitarbeiter Ludwig anmerkte, schon jetzt selbst Aussprachen fürs Gendern festlegen.
Lösung für alle fehlt
Individuelle Möglichkeiten, die eigene Assistenz-Software auf geschlechterneutrale Sprache einzustellen, gibt es also offenbar. Eine über alle Programme und damit auch für eine breite Masse an technisch möglicherweise weniger versierte Nutzer verfügbare Lösung für die Aussprache von Gender-Symbolen fehlt aber.
Das liegt laut IT-Experte Nadig nicht zuletzt daran, dass es bisher keine allgemein gültige Vorgabe zum Gendern gibt. "Nach dieser geeigneten Gender-Lösung wäre zunächst einmal auf gesellschaftspolitischer Ebene zu suchen. Anschließend wäre es dann Aufgabe der Softwareentwicklung beziehungsweise einer entsprechend ausgestatteten Software selbst, diese Lösung in einer für sehbehinderte und blinde Menschen akzeptablen Form umzusetzen", so Nadig.
Aktuell seien neben Sternchen & Co. unzählige Varianten geschlechtergerechter Ausdrucksmöglichkeiten parallel unterwegs. Sie alle einzubeziehen würde sehr ausgefeilte Technologie erfordern und Sprachausgaben, vor allem auf Smartphones, möglicherweise überfordern und verlangsamen.
Gesellschaft ist gefordert
Eine Lösung ist demnach erst in Sicht, wenn sich die gesamte Gesellschaft auf eine bestimmte Variante beim Gendern geeinigt hat. Dann könne man diese Software-seitig sowie in der Brailleschrift umsetzen. Beim Vorlesen könnte etwa die Pause genutzt werden, die aktuell schon einige Medien nutzen, um Gender-Zeichen zu vertonen. Allerdings müssten solche Umstellungen am geschriebenen Text, etwa Pause statt *, dem Nutzer transparent gemacht und von der Community der Blinden und Sehbehinderten breit akzeptiert werden, so Nadig.
Bis es soweit ist, empfiehlt der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband andere Formen geschlechterneutraler Sprache zu verwenden, etwa Team statt Mitarbeiter zu schreiben. Ein anderes Beispiel wäre wohl Studierende statt Studenten. Wer auf keinen Fall aufs Gendern verzichten möchte, dem rät der Verband "das Sternchen zu verwenden, weil es laut Veröffentlichungen des Deutschen Rechtschreibrates die am häufigsten verwendete Kurzform ist und so unserem Wunsch nach einem Konsenszeichen am nächsten kommt".
Warum Gendern viele Blinde (noch) im Alltag stört - BR24
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