Mehr als die Hälfte der Menschen in Russland will sich nicht gegen Corona impfen lassen. Jetzt machen die Behörden Druck - mit einer de facto Impfpflicht für viele Branchen.
Die Behörden haben es mit Lebensmittel-Prämien und Lotterien für Neuwagen oder Wohnungen als Anreiz versucht. Aber dennoch blieb ein ehrgeiziger Plan, bis Mitte Juni 30 Millionen Russen gegen das Coronavirus zu impfen, um ein Drittel hinter dem Ziel zurück.
Deshalb verpflichten jetzt viele Regionalregierungen im ganzen Land Beschäftigte bestimmter Branchen zur Impfung. Auch für den Besuch von Geschäften und Restaurants gelten strengere Auflagen. Derweil kämpft Russland gegen steigende Infektionszahlen.
Laxer Umgang mit dem Coronavirus?
Die Zahl neuer Fälle pro Tag stieg von etwa 9.000 Anfang Juni auf etwa 17.000 am 18. Juni und über 20.000 am Donnerstag und Freitag. Die Stadt St. Petersburg, in der nächste Woche das EM-Viertelfinale stattfindet, meldete am Samstag 107 Todesfälle innerhalb eines Tages im Zusammenhang mit dem Virus - so viele wie noch nie seit Beginn der Pandemie.
Die Behörden führen die steigenden Fallzahlen auf einen laxen Umgang vieler Russen mit den Schutzmaßnahmen zurück sowie auf die zunehmende Ausbreitung gefährlicherer Virusvarianten wie Delta. Doch der wichtigste Faktor ist vermutlich der Mangel an Impfungen.
Bis Freitag wurden rund 21 Millionen Menschen oder etwa 14 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal geimpft. Den vollen Impfschutz hatten diese Woche lediglich gut 16 Millionen Menschen oder rund elf Prozent - so findet sich Russland erst auf Seite 13 in der Tabelle der weltweiten Impfungen:
Misstrauen gegenüber Sputnik V
Experten machen für die niedrigen Zahlen mehrere Faktoren verantwortlich, darunter ein Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der raschen Zulassung und Verteilung des Vakzins Sputnik V sowie das offizielle Narrativ, dass Russland den Corona-Ausbruch in den Griff bekommen habe. Weitere Punkte sind Warnungen im Staatsfernsehen, dass andere Impfstoffe gefährlich seien, und eine schwache Promokampagne mit Werbegeschenken als Anreizen.
Nach Angaben des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Lewada wollen sich etwa 60 Prozent der Russinnen und Russen nicht impfen lassen. Angesichts des Anstiegs an Infektionen führten 18 russische Regionen - von Moskau und St. Petersburg bis nach Sachalin im Fernen Osten - in diesem Monat eine Impfpflicht unter anderem für Regierungsbeamte und Beschäftigte in Einzelhandel, Gesundheitswesen, Bildung, Restaurants und anderen Dienstleistungsbranchen ein.
Moskau droht Unternehmen mit Schließungen
Die Behörden in Moskau erklärten, Unternehmen sollten Mitarbeitern, die sich nicht impfen lassen wollen, den Lohn vorenthalten. Sie drohten damit, vorübergehend den Betrieb von Unternehmen einzustellen, die das Ziel nicht erreichen, bis zum 15. Juli 60 Prozent der Belegschaft mindestens einmal und bis zum 15. August zweimal zu impfen.
Die Menschenrechtsbeauftragte der russischen Regierung, Tatjana Moskalkowa, berichtete, dass Ungeimpfte Diskriminierungen durch ihre Arbeitgeber gemeldet hätten, darunter Kündigungsdrohungen oder die Verweigerung von Boni.
Impfrate steigt
Der beliebte Schauspieler Jegor Berojew trug am Dienstag bei einer Fernsehpreis-Verleihung einen gelben Stern und sprach davon, "in einer Welt aufzuwachen, in der eine Covid-19-Impfung zum Erkennungszeichen dafür wird, ob man ein Staatsbürger ist, ob man Einrichtungen und Veranstaltungen besuchen darf, ob man alle Vorteile und Rechte genießt".
Trotz des Widerstands in der Bevölkerung - die Maßnahmen der Behörden scheinen zu wirken. Nach Angaben der stellvertretenden Ministerpräsidentin Tatjana Golikowa hat sich die durchschnittliche Impfrate im Land in der vergangenen Woche fast verdoppelt. Vor Impfstellen in Moskauer Einkaufszentren bildeten sich lange Warteschlangen.
Vorgaben für viele Branchen: Impfung oder Lohn weg: Moskau erhöht Druck - ZDFheute
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