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VonPeter Riesbeck
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Autor John von Düffel über die Freiheit des Wassers, die eigentümliche Welt des Freibads und die Kulturgeschichte des Schwimmens.
Herr von Düffel, ein labiler Sommer. Wann hat für Sie die Schwimmsaison begonnen?
Um ehrlich zu sein: Die Saison hat nie aufgehört. Unter normalen Umständen gehe ich im Winter ins Hallenbad, dort lässt sich ausgiebig schwimmen, ohne draußen im kalten Wasser um sein Leben fürchten zu müssen. Aber in diesem Winter, mit all seinen Beschränkungen, siegte die Leidenschaft über den Schmerz. So lange der See nicht zugefroren war, bin ich draußen geschwommen.
Hoffentlich mit Neopren-Anzug?
Das ist anders nicht möglich. Sonst bleiben einem im Wasser nur fünf Minuten. Und das reicht mir nicht. Das Ziel beim Schwimmen besteht ja nicht darin, die Kälte zu überleben.
Sie bevorzugen den ruhigen See gegenüber dem mühseligen Kampf um eine Bahn im Schwimmbad. Wo sehen Sie die Vorzüge?
Der Eintritt ist frei und es ist immer geöffnet. Zudem bietet ein See eine größere Freiheit, in der Weite und Unbegrenztheit. Ich komme beim Schwimmen dann in eine Einsamkeit mit dem Wasser. Das fällt einem im Bad schwer.
Aber dass die Freibäder wieder offen sind, freut Sie auch?
Natürlich, gerade nach diesem Winter der Beschränkungen. Wir bezahlen ohnehin einen hohen Preis für die geschlossenen Bäder im Winter, gerade die Kinder. Es geht beim Lockdown nicht allein um das Defizit an Bildung und Wissen. Der Verlust von motorischen Fähigkeiten und Bewegungsfreude unter den Schülerinnen und Schülern ist gewaltig.
Wie nehmen Sie diese eigene Welt des Freibads wahr?
Das Sommerbad bildet eine eigene Gemeinschaft. Insofern muss man auch Lust haben auf die Begegnung mit anderen Menschen. Manchmal gibt es Tage, an denen ich beim Schwimmen die Einsamkeit einer Begegnung vorziehe. Im See kann ich mich ganz auf das Wasser einlassen und muss nicht daran denken, wie ich am Nebenschwimmer vorbeikomme oder welches etwas zu starke Parfum gerade von der Nachbarbahn zu mir rüberweht. Das Freibad ist ein Soziotop, ein See ist ein Biotop.
Sie favorisieren das kraftvolle Schwimmen gegenüber dem gemächlichen Baden. Was gibt Ihnen das Element Wasser?
Das hat viel mit Lust und Sinnlichkeit zu tun. Schwimmen ist eine der schönsten Bewegungsformen der Welt, weil es einen leicht macht. Beim Schwimmen kommt man als Mensch der Leichtigkeit des Fliegens am nächsten, weil man in eine Art Schwerelosigkeit gerät. Das Schwimmen setzt mich in ein Verhältnis zu meinem Körper, zur Natur und zu den Dingen. Das Wasser ist uns vertrauter, als wir uns vorstellen können. Schwimmen ist jedenfalls orthopädisch betrachtet gesünder als Gehen.
Sie bevorzugen Freistil, warum?
Das ist eine Typ-Frage, auch mit Blick auf die körperliche Konstitution. Es gibt Wirbelsäulen, die so geformt sind, dass ihnen Kraulen einfach mehr liegt. Insofern bin ich zum Freistil geboren. Darüber hinaus faszinieren mich Wucht und Geschwindigkeit. Dazu kommt der besondere Effekt des Eintauchens. Beim Kraulen ist der Kopf ständig unter der Wasseroberfläche. Das Wasser umhüllt einen vollständig. Der Schwimmer ist so seiner eigenen Atmung ausgesetzt, die er unter Wasser ständig hört und spürt. Darin liegt etwas Meditatives. In der schnellen Bewegung, dem steten Rhythmus und der gleichförmigen Bewegung ist Kraul ein großartiger Schwimmstil. Kraulen kann ich stundenlang.
Rückenschwimmen kommt für Sie nur als Entspannung der Muskulatur in Frage?
Genau. Ich habe Rückenschwimmen gern mal gedisst, vielleicht auch, weil ich es nicht so gut kann. Der Blick richtet sich beim Rückenschwimmen zum Himmel, buchstäblich ins Blaue hinein. Die Orientierung fällt da schwer – gerade in Seen. Beim Rückenschwimmen schaut man meist nach oben. Diese Art des schwimmerischen Gottvertrauens ist mir nicht gegeben. Ich muss wissen, wohin ich schwimme. Aber Rücken ist ohne Zweifel die gesündeste Form des Schwimmens.
Und warum fällt das Brustschwimmen bei Ihnen durch?
Es gibt zwei Arten von Brustschwimmen. Das eine ist das, was wir allgemein lernen. Da bietet Brust den großen Vorteil, dass man nach vorne schaut. Das kennt man vom Gehen. Das macht einem diese Bewegungsform vertraut und damit auch das Wasser. Die einzige offene Frage ist: Ziehe ich auch den Kopf zum Ausatmen unter Wasser? Diese Form des Brustschwimmens ist eine Art besseres Gehen, bei der man die Arme zu Hilfe nimmt.
Zur Person
John von Düffel , 54, ist Autor und Dramaturg am Deutschen Theater in Berlin. Schwimmen geht er (fast) täglich, bevorzugt in Brandenburger Seen, mitunter auch mal ein paar Stunden.
In mehreren seiner Bücher spielt das Thema ebenfalls eine wesentliche Rolle, unter anderem im Familienroman „Vom Wasser“ und in dem Essayband „Wasser und andere Welten“. 2020 erschien der Roman „Der brennende See“, Dumont Verlag, 320 S., 22 Euro.
Und die andere?
Das ist Brust im professionellen Stil. Das ist ein hoch komplexer Bewegungsablauf und stellt eine Kunst dar. Diese Form beherrschen wirklich nur die wenigsten. Das kriegen nicht mal ein Prozent im Wasser hin. Alle anderen sagen: Ich kann Brustschwimmen.
Jenseits des Sees schätzen Sie das Flussschwimmen, gerade im Rhein…
Ich kenne das aus Basel. Dort ist das Rhein-Schwimmen eine Art Stadtbummel im Wasser. Der Fluss gehört zum Leben in der Stadt. Für Schwimmer ist der Rhein ein sehr fordernder Fluss. Auch ein See ändert sich, aber er ist einem irgendwann vertraut. Ein Fluss wechselt stetig. Gerade der Rhein. Man spürt da den Charakter einer Naturgewalt. Der Rhein ist jeden Tag eine neue Herausforderung. Von Schwimmern erfordert das den nötigen Respekt. Das ist wie im Meer, wo die Natur einem auch jeden Tag anders gegenübertritt.
In Berlin wird über ein Flussbad an der Museumsinsel diskutiert. Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, hat sich dagegen ausgesprochen. Wie sehen Sie das als Schwimmer und Dramaturg am Deutschen Theater?
Grundsätzlich ist mir die Idee des Flussschwimmbades sehr sympathisch. Ich bin ja viel in Basel im Rhein geschwommen. Ein hehres Ziel, das auch für die Spree zu realisieren.
Die Schweizer schätzen das Rhein-Schwimmen. In Belgien gibt es überhaupt keine Freibäderkultur. Welcher Kulturunterschied hat Sie als Schwimmer am meisten überrascht?
Das Extremste habe ich in Japan erlebt, als ich für das Goethe-Institut in Tokio war. Ich bin dort ins Olympiabad. Dort müssen alle Schwimmer nach 55 Minuten aus dem Wasser. Dann muss das Wasser fünf Minuten ruhen. Ohne Ausnahme, auch nicht für jemanden wie mich, der gern stundenlang seine Bahnen zieht. Ich habe den Grund für diese Pause nie herausgefunden. Aber in Japan herrscht ein enormer Leistungsdruck, auch im Becken. Mein Gefühl sagte mir, die Schwimmer können in den fünf Minuten runterkommen und ausruhen. Der Bademeister hat die Chance zu schauen, wer sich zu sehr verausgabt hat.
Sie haben ein Buch zur Kulturgeschichte des Schwimmens von Charles Sprawson aus dem Englischen übersetzt. Bei den Römern gab es den Spruch: „Er konnte weder schwimmen noch lesen“. Schwimmen gehörte zur Bildungskultur…
Es geht um eine Form der Alphabetisierung des Körpers. Beim Schwimmen können wir uns nicht nur als Land-, sondern auch als Wasserwesen verstehen. Es geht um eine Bewegungssprache, die uns wie eine Fremdsprache für das Verständnis der Welt fehlen würde. Das Schwimmen enthebt uns durch den Auftrieb des Wassers unserer Alltagsschwere. Es werden fast alle Muskeln angesprochen, das vermittelt ein Gefühl für den ganzen Körper. Wenn man so will: eine eigene Ganzheitlichkeit. Verständlich, dass ein kultiviertes Volk wie die Römer darauf nicht verzichten wollte.
Dem christlichen Mittelalter war das Schwimmen suspekt, auch wegen zu viel Nacktheit. Erst im 18. Jahrhundert wurde es in England wieder erlernt ...
Die Engländer haben den Schweizern auch gezeigt, wie man auf Berge steigt. Angeblich waren es englische Adlige, die sich über das Nacktheitsverbot hinwegsetzten und das Schwimmen wieder entdeckten. Sie begründeten damit auch die englische Seebäderkultur. Der Autor Charles Sprawson, der das akribisch recherchiert hat, beschreibt, wie Frösche als Vorbild dienten, um diese alte Kulturtechnik wieder zu erlernen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass das Schwimmen als Form des Überlebens nicht auch bei anderen Völkern immer präsent war.
Sie sind Autor und Dramaturg. Was verbindet Schwimmen mit der Poesie?
Grundsätzlich ist Wasser ein poetisches Element: Es enthält etwas Sinnliches und Weites, Fließendes, das über einen hinausweist. Das öffnet auch phantastische Räume. Das kann auch manchmal beängstigend sein, wenn man beim Schwimmen im See oder Meer nach unten schaut. Wasser ist das Element des Lebens und Überlebens. Insofern ist es kein Zufall, dass Wasser in vielen Religionen eine spirituelle Bedeutung hat.
Gibt es Parallelen zum Schreiben?
Wasser ist inspirierend. Es bietet eine große geistige Übung. Schwimmen setzt auf Wiederholung. Irgendwann lösen sich die Gedanken von der Bewegung und geben den Geist frei für neue Überlegungen. Dann gehen die Gedanken ihre eigenen Wege und man ist ganz erstaunt, wo man dahin kommt. Viele Probleme jedenfalls sind wasserlöslich.
Auch, wenn Sie am liebsten im See schwimmen, haben Sie ein Lieblingsbad?
Das Dantebad in München schätze ich sehr, das öffnet sein Außenbecken auch im Winter, auch wenn das ökologisch vielleicht nicht ganz korrekt ist. Auch das Kaifu-Bad in Hamburg mag ich. Aber ich könnte überall leben, wo es schöne Bäder gibt. Insofern preise ich alle Städte, die ein schönes Schwimmbad haben. Bei allen Einschränkungen, die die Bäderkultur hierzulande aus kommunalen Spargründen hat erleiden müssen, gibt es immer noch eine stattliche Bäderlandschaft. Ich glaube, vielen Kommunalpolitikern ist gar nicht klar, wie tief die Verbindung der Menschen zu ihrem Bad ist. Deshalb nochmal als Mahnung für alle Sparwütigen: Hände weg vom Wasser!
Interview: Peter Riesbeck
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