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Sunday, May 30, 2021

Viele US-Immobilien sind überbewertet - Süddeutsche Zeitung

Manchmal geht alles so rasend schnell, dass selbst die Makler den Überblick verlieren. So wie jüngst in Sacramento: Das kleine Einfamilienhaus in Kaliforniens Landeshauptstadt war gerade erst in den Immobilienportalen aufgetaucht, es sollte 499 000 Dollar kosten, allein für die nächsten Tage waren 17 Besichtigungstermine anberaumt. Doch noch bevor der erste Interessent die Räume betreten hatte, konnte die Maklerfirma die Akte wieder schließen. Ein Käufer hatte telefonisch zugeschlagen, binnen Stunden die nötigen Unterlagen übermittelt und 520 000 Dollar angewiesen - finanziert komplett aus Eigenkapital und ohne sein neues Zuhause je gesehen zu haben.

In den ganzen USA erzählen Makler derzeit Geschichten wie diese. Interessenten stehen Schlange, Häuser wechseln binnen Tagen die Besitzer - und die Preise gehen durch die Decke: plus 25 Prozent innerhalb eines Jahres in Idahos Hauptstadt Boise, plus 19 Prozent in Stamford bei New York - vielerorts sind die Zuwächse so gewaltig, dass die durchschnittliche monatliche Hypothekenbelastung trotz Niedrigzinsen ständig steigt und Familien kaum noch bezahlbare Angebote finden. Vom "verrücktesten Immobilienmarkt seit 2006" spricht das Wall Street Journal, das Nachrichtenportal Axios vergleicht die Suche nach einem verfügbaren Haus gar mit dem Geburtstagsspielklassiker "Reise nach Jerusalem". "Es ist tatsächlich Wahnsinn", sagt Alison McQueen vom New Yorker Makler Corcoran, der im April allein in Manhattan so viele Vertragsabschlüsse verbuchte wie zuletzt im Juni 2007.

2007? Bei vielen Fachleuten schrillen angesichts dieser Jahreszahl alle Alarmglocken. 2007, das war das Jahr, als der Wahnsinn schon einmal endete. Als der US-Immobilienmarkt Schritt für Schritt kollabierte und erst die Banken und dann die Volkswirtschaften des Westens in die tiefste Krise seit fast 80 Jahren stürzte. Die Frage, die sich deshalb gewissermaßen zwangsläufig stellt, ist: Wiederholt sich die Geschichte gerade? Steht die Weltwirtschaft erneut am Abgrund - ausgerechnet jetzt, da sie sich dem eisernen Griff der Corona-Pandemie langsam entwindet?

Die Hauspreise haben sich von der normalen Inflationsrate entkoppelt

Jim Reid, Volkswirt der Deutschen Bank in London, ist sich noch nicht sicher, ob es sich um die üblichen Marktkapriolen handelt oder ob sich da "am Horizont ein gewaltiges Problem" zusammenbraut. Reid hat die Preisentwicklung einmal über einen sehr langen Zeitraum betrachtet und dabei festgestellt, dass ein Haus noch 1999 genauso viel kostete wie 100 Jahre zuvor, wenn man die Inflationsrate herausrechnet. Erst danach koppelten sich die Preise von der allgemeinen Teuerungsrate ab, zogen binnen kürzester Zeit um 60 Prozent davon, um dann in der Finanzkrise um 35 Prozent einzubrechen. Seit einigen Jahren steigen sie nun wieder - zuletzt so rasant, dass sie jetzt wieder das Vorkrisenniveau von 2007 erreicht haben. Die Ratingagentur Fitch schätzt, dass Häuser in Bundesstaaten wie Idaho und Nevada um rund 30 und Texas immer noch um fast 20 Prozent überbewertet sind.

So viel zu den Parallelen - es gibt aber auch Unterschiede. Das beginnt bei den Ursachen für den Preisboom. In den Nullerjahren waren es vor allem die Banken, die die Nachfrage befeuerten, indem sie Kredite an Kunden vergaben, die sich eigentlich gar kein Haus leisten konnten. Zudem bündelten die Institute die Darlehen zu großen Paketen, stückelten diese wieder und verkauften die Anteile als Wertpapiere an Finanzinvestoren in aller Welt weiter - so lange, bis am Ende niemand mehr wusste, welche Ausfallrisiken wo versteckt sind. Diese Praxis gebe es heute so nicht mehr, sagt Danielle Hale, Chefvolkswirtin des Branchendienstes Realtor.com: "Die Regeln für die Kreditvergabe und die Risikoübernahme sind viel strikter als damals, und die Banken sind bei der Frage, wem sie welches Darlehen gewähren, viel konservativer."

Tatsächlich hat der Preisanstieg diesmal sehr viel handfestere Ursachen. Da sind einmal die Immobilienentwickler, die in der letzten Krise furchtbar Federn lassen mussten und deshalb seit mehr als einem Jahrzehnt deutlich weniger Häuser bauen als angesichts der Bevölkerungsentwicklung eigentlich notwendig wären. Hale schätzt, dass landesweit mindestens 3,8 Millionen Eigenheime fehlen.

Knappes Angebot, hohe Nachfrage

Das Problem wird noch dadurch verstärkt, dass das knappere Angebot auf eine immer weiter steigende Nachfrage trifft. Da ist einmal die Generation der Millennials, die jetzt in ein Alter kommt, da man typischerweise über ein Haus nachdenkt. Hinzu kommen die weiter niedrigen Bauzinsen und - natürlich - Corona: Viele Amerikaner suchen nach einem größeren Domizil, weil sie nach den jüngsten Home-Office-Erfahrungen auch künftig zumindest zeitweise von zu Hause aus arbeiten wollen. Andere erwerben Zweitwohnungen auf dem Land, um sich für die nächste Pandemie eine Fluchtburg zu schaffen. Zugleich verfügen viele Interessenten über mehr Eigenkapital als in der Vergangenheit, weil sie im Zuge der staatlichen Konjunkturprogramme Schecks vom Finanzamt erhalten und deutlich weniger für Urlaub, Restaurants und Unterhaltung ausgegeben haben. Hinzu kommen die Profi-Vermögensverwalter, die nach tauglichen Kapitalanlagen suchen und sich dabei auch in Orte und Stadtviertel vorwagen, in denen von Finanzinvestoren bisher weit und breit nichts zu sehen war. Die Folge: Auch dort, wo ärmere Familien bisher eine Bleibe finden konnten, schießen die Preise in die Höhe, oft sogar überproportional.

Realtor-Ökonomin Hale räumt ein, dass "das gegenwärtige Tempo des Preisanstiegs ganz gewiss nicht nachhaltig" sei, sieht gegenwärtig aber dennoch "keine Gefahr eines Crashs". Auch Deutsche-Bank-Experte Reid warnt vor Weltuntergangs-Szenarien: Da die Kredite diesmal nicht in Form von Wertpapieren durch alle Welt vagabundierten, wäre aus seiner Sicht selbst bei einem Preisverfall "der systemische Schaden weniger groß". Das bedeutet aber nicht, dass alles in bester Ordnung wäre - im Gegenteil. Corcoran-Maklerin McQueen etwa verweist darauf, dass viele Interessenten derzeit mehr für Häuser zahlten, als die Verkäufer eigentlich verlangten. "Diese überzogenen Abschlüsse werden die Referenzwerte für die Preise in einem halben Jahr sein", so McQueen. Oder anders ausgedrückt: Die überzogenen Preise von heute werden die von morgen zusätzlich befeuern. Hinzu kommt das Risiko steigender Leitzinsen.

Und noch ein Problem macht Experten Sorge: Im Zuge der Pandemie haben Millionen Hypothekenkreditnehmer ihre Zins- und Tilgungszahlungen ganz oder teilweise aussetzen dürfen. "Die Stundungsrate ist derzeit doppelt so hoch wie in der letzten Krise", sagt Joan Trice vom "Netzwerk Besicherungsrisiko", einem Zusammenschluss von Immobilienbewertungsexperten. Sollten all diese Menschen nach dem Ende der Corona-Krise ihre Kredite wieder bedienen, sei alles okay, so Trice jüngst im Wall Street Journal. Käme es dagegen in großem Stil zu Zahlungsausfällen, "würde der Markt zusammenbrechen".

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