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Monday, May 31, 2021

Besteuerung der Rente: Warum werden viele Renten zweimal besteuert? - ZEIT ONLINE

Der Bundesfinanzhof (BFH) in München hat am Montag sein Urteil zur Doppelbesteuerung von gesetzlichen und privaten Renten verkündet – und die Klagen abgewiesen. Gleichwohl forderte das Gericht Änderungen an der Besteuerung von Renten. Wir erklären, worum es geht und warum eine Lösung, die fair für alle ist, nicht so einfach ist.

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Was hat der Bundesfinanzhof entschieden?

Der Bundesfinanzhof hatte über zwei Klagen zu entscheiden, in denen die Klagenden meinten, dass sie zu Unrecht doppelt besteuert würden. In den konkreten Fällen sahen die höchsten Finanzrichterinnen und Finanzrichter aber keine doppelte Besteuerung und schlossen sich somit den Vorinstanzen an, welche die Klagen bereits abgewiesen hatten. Richtungweisend war der Urteilsspruch dennoch: Denn das Gericht fordert Änderungen an der Besteuerung von Renten, andernfalls drohe künftigen Rentenjahrgängen nach der geltenden Regelung tatsächlich eine doppelte Steuerlast bei den Altersbezügen. Vor allem der Grundfreibetrag, der allen Steuerzahlenden zusteht, müsse bei der Besteuerung der Alterseinkünfte ausgeklammert werden, sagte die Vorsitzende Richterin Jutta Förster. Auch die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge dürften nicht einbezogen werden. Der BFH machte dem Gesetzgeber damit erstmals konkrete Vorgaben, wie eine doppelte Rentenbesteuerung vermieden werden kann.  

Was ändert sich jetzt?

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können nach der Bundestagswahl auf niedrigere Steuern hoffen. In der kommenden Legislaturperiode soll zusammen mit der Reform der Einkommensteuer nun auch die Besteuerung der Rentenbeiträge geändert werden. Das kündigte SPD-Staatssekretär Rolf Bösinger direkt nach dem Urteil am Montag an. Eine mögliche Lösung ist nach Bösingers Worten, die bislang für 2025 vorgesehene volle Steuerbefreiung der Rentenbeiträge früher umzusetzen. "Das werden wir uns jetzt genau ansehen und prüfen, welche Auswirkungen dies haben wird", sagte Bösinger. 

Der Bundesfinanzhof hat über zwei Einzelfälle entschieden. Worum ging es genau?

Im ersten Fall klagten ein Zahnarzt und seine Frau. Der Mann ging 2009 in Rente und hat seitdem Anspruch auf eine gesetzliche Rente, eine Rürup-Rente für Selbstständige und weitere private Renten. Er argumentierte, dass er doppelt besteuert werde und verlangte für das Klagejahr 2009 860 Euro zurück. Tatsächlich hatte das Finanzamt für dieses Jahr eine Doppelbesteuerung in Höhe von 100 Euro festgestellt. Angesichts einer Summe von fast hunderttausend Euro, auf die der Mann Einkommensteuer zahlen musste, sah das Finanzamt diesen Betrag aber als Bagatelle an und erstattete den Betrag nicht zurück. 

Im zweiten Fall hatten ein Steuerberater und dessen Frau geklagt. Der Mann zahlte zunächst gesetzlich und später freiwillig in die gesetzliche Rentenversicherung ein; er muss diese Rente nun versteuern. Er kritisierte, dass er die Beiträge aus seinem Nettoeinkommen geleistet hatte – und später aber der steuerpflichtige Anteil seiner Rente bei 54 Prozent lang, er also doppelt besteuert wurde. Bei diesem Fall stellte sich auch die Frage, wie die vielen Steuerfreibeträge, Pauschalbeträge oder Beiträge etwa zur Krankenversicherung angesetzt werden können und welche Rolle diese bei der Doppelbesteuerung spielen.

Was ist überhaupt eine Doppelbesteuerung?

Eine doppelte Besteuerung liegt vor, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Beiträge zur Rentenversicherung ganz oder zum Teil aus bereits versteuertem Einkommen leisten und sie später, in der Auszahlphase, auf die Renten ebenfalls noch einmal Steuern zahlen müssen. Letztlich sind dann die Beiträge höher als der steuerfreie Teil der Renten. Und das ist verfassungswidrig. Die Frage bezieht sich dabei nicht nur auf gesetzliche Renten, sondern auch auf private, die sehr viel häufiger aus dem bereits versteuerten Nettogehalt angespart werden.

Seit wann gibt es das Problem und wie war es früher?

Bis 2005 waren Rentenauszahlungen steuerfrei, dafür wurden aber die Beiträge aus dem versteuerten Gehalt gezahlt. Die meisten Rentnerinnen und Rentner mussten also gar keine Steuern mehr zahlen. Steuern fielen allenfalls auf den sogenannten Ertragsanteil der Renten an, also etwa auf die Zinsen der einbezahlten Beiträge. Doch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2002 zog einen Systemwechsel nach sich: Die Verfassungsrichter sahen eine Ungleichbehandlung zwischen Arbeitnehmerinnen und Beamten. Die Staatsbediensteten mussten auf ihre Pensionen nämlich voll Steuern zahlen. Bis 2005 sollte es daher für die gesetzliche Rente eine Neuregelung geben – die vorgelagerte Besteuerung wurde abgeschafft, die nachgelagerte Besteuerung eingeführt.

Und wo liegt nun das Problem?

Der Systemwechsel zur nachgelagerten Besteuerung konnte nicht einfach zu einem bestimmten Stichtag im Jahr 2005 erfolgen. Das hätte dazu geführt, dass alle, die in jenem Jahr oder danach in den Ruhestand gingen, sofort von einer Doppelbesteuerung betroffen gewesen wären – die ja eben verfassungswidrig ist. Außerdem wollte die rot-grüne Bundesregierung damals nicht sofort alle Rentenbeiträge mit einem Schlag von der Steuer befreien – das wäre zu teuer gewesen. Die Lösung war eine sehr lange Übergangszeit, um den Systemwechsel zu schaffen. Dieser sieht 20 Jahre bei den steuerlichen Entlastungen für die Rentenbeiträge vor und 35 Jahre steigende Belastung bei der Steuer auf die Renten. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass doppelte Steuern anfallen.

Im Detail ist das allerdings kompliziert. Konkret müssen die Beitragszahlenden seit 2005 Jahr für Jahr etwas weniger Steuern auf ihre Beiträge zur Rentenversicherung bezahlen, bei den Rentnerinnen und Rentnern steigt hingegen pro Jahr der prozentuale Anteil der Rente, auf den Steuern zu zahlen ist. Von 50 Prozent im Jahr 2005 auf 100 Prozent im Jahr 2040. 

Was schon kompliziert genug klingt, wird aber noch komplexer: Denn bei den Rentnern kommt es auf das konkrete Jahr des Rentenbeginns an. Wer etwa 2005 in den Ruhestand ging, muss die Hälfte der Rentenzahlungen im Jahr versteuern. Wer 2020 Rentner wurde, muss schon 80 Prozent versteuern. Der steuerfreie Anteil wächst aber nicht mit jeder Rentenerhöhung auf die gesamte Rentensumme – vielmehr bleibt er gleich. Wer etwa im Jahr 2005 in Rente ging und insgesamt 18.000 Euro Rente im Jahr bekam, der durfte 9.000 Euro als steuerfrei behalten. Wer 2020 Rentnerin wurde und ebenfalls 18.000 Euro im Jahr an Rentenzahlung erhält, bekommt nur 3.600 Euro (20 Prozent) steuerfrei. Und damit nicht genug: Die steuerfreie Summe der Jahresrente aus dem Jahr des Rentenbeginns bleibt als individueller Rentenfreibetrag ein Leben lang bestehen. Mit jeder Rentenerhöhung, die ja letztlich oft nur eine Anpassung an die Inflation ist, steigt somit aber die Steuerlast auf den steuerpflichtigen Anteil der Rente. 

Ein Problem ist das Verfahren für die heute 40- bis 50-Jährigen: Die meisten werden ab Rentenbeginn 100 Prozent ihrer Alterseinkünfte versteuern müssen. Die Beitragszahlenden können aber erst ab dem Jahr 2025 die Beiträge zur Rentenversicherung voll steuerlich absetzen. Diese Generation sorgt in der Regel auch seit vielen Jahren privat vor – meist aus dem Nettoeinkommen. Für die heutigen Beitragszahlenden ist eine Neuordnung also angebracht.

Wie kann man feststellen, ob man von einer doppelten Rentenbesteuerung betroffen ist?

Die Berechnung ist gar nicht so einfach – tatsächlich muss man eine Gesamtbetrachtung vornehmen. Das bedeutet, dass man die steuerfreien Rentenzahlungen, die man bis zum Lebensende erwartet, allen versteuerten Beiträgen zur Rentenversicherung gegenüberstellt. Dafür muss man also wissen, wie viel Geld man aus versteuerten Einkommen in die Rentenversicherung eingezahlt hat. Das findet man in den Steuerbescheiden und den vorliegenden Daten für Altersaufwendungen. Aber woher weiß man, wie viel Rente man bis zum Lebensende erwarten kann? Niemand weiß schließlich, wann er oder sie sterben wird. Für eine Überprüfung rechnet man mit den für seinen Jahrgang üblichen Sterbetafeln, die beispielsweise auch die Deutsche Rentenversicherung für ihre Berechnungen benutzt. Wenn der steuerfreie Rentenzufluss niedriger ist als die Summe der versteuerten Rentenbeiträge, wurde man doppelt besteuert.

Aber es wird sogar noch komplizierter: Denn nach der bisherigen Regelung müssen auch weitere Steuervergünstigungen berücksichtigt werden. Der Staat etwa rechnet derzeit auch den Grundfreibetrag mit, wenn es um die Frage der steuerfreien Rentenzahlungen geht. Nur: Der Grundfreibetrag steht ja allen Steuerpflichtigen zu. Er soll das Existenzminimums absichern und dürfe nicht noch ein zweites Mal als steuerfreier Rentenbezug herangezogen werden, argumentiert nun der BFH im aktuellen Urteil. Herangezogen werden auch die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, die alle Steuerzahlenden absetzen können. Zieht man diese Summen ab, ist eine Doppelbesteuerung sehr viel schneller erreicht. 

Wie viele Rentnerinnen und Rentner sind betroffen?

In Deutschland gibt es rund 20 Millionen Rentnerinnen und Rentner – aber nicht alle sind von einer Doppelbesteuerung betroffen. Bisher gibt es rund 142.000 Verfahren vor Finanzgerichten, in denen eine doppelte Besteuerung überprüft werden soll, denn dies muss bislang individuell nachgewiesen werden. Vor allem scheinen derzeit Selbstständige betroffen zu sein. Der Grund ist simpel: Sie haben einen Großteil ihrer Alterseinkünfte aus dem Nettoeinkommen geleistet. In den meisten derzeit vor den Gerichten anhängigen Fällen handelt es sich um Ruheständler, die vergleichsweise wohlhabend sind und Rentenzahlungen sowohl aus der gesetzlichen als auch aus verschiedenen privaten Vorsorgeprodukten erhalten. Bei heutigen Rentnerinnen und Rentnern tritt eine Doppelbesteuerung ja erst auf, wenn sie sehr hohe Beiträge in der Erwerbsphase gezahlt haben und zudem heute als Ruheständler ebenfalls sehr viele Steuern zahlen müssen. Dafür ist aber auch ein entsprechend hohes Einkommen nötig.

Wie lässt sich eine Doppelbesteuerung künftig vermeiden?

Genau das muss nun der Gesetzgeber klären, denn der Bundesfinanzhof hat dem Bundesfinanzministerium eine Änderung der bisherigen Praxis nahegelegt. Eine Antwort wird die nächste Bundesregierung beschäftigen. Das SPD-regierte Bundesfinanzministerium kündigte bereits an, möglicherweise nach der Wahl die vollständige Steuerbefreiung der Beiträge vorzuziehen. Denkbar wäre auch, dass etwa eine Bagatellgrenze eingeführt wird. Dann könnte eine Doppelbesteuerung bis zu einer bestimmten Größenordnung rechtmäßig sein. Es könnten auch neue Rechenwege für die Besteuerung vorgegeben werden und das Alterseinkünftegesetz geändert werden. Oder: Die Übergangsregelung wird so angepasst, dass sofort alle Beiträge steuerfrei sind und bei der Besteuerung der Renten die Belastung in Halb-Prozent-Schritten bis zum Jahr 2060 ansteigt. Viele Expertinnen und Experten glauben, dass es dann zu keinen Doppelbesteuerungen kommen könnte.

Schon heute rechnet das Bundesfinanzministerium damit, dass eine Änderung der bestehenden Regel bis zu zwei Milliarden Euro pro Jahr kosten könnte, weil die Steuereinnahmen sinken

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