Beim Klimaschutz für Wohngebäude steuert Deutschland nach Einschätzung der Wohnungswirtschaft finanziell und technologisch in eine Sackgasse. Einerseits würden die Ansprüche für Wärmedämmung, Steuerungsanlagen und erneuerbare Energien immer weiter nach oben geschraubt. Andererseits stiegen die Bau- und Materialkosten immer weiter an, und der Staat stelle kaum zusätzliche Mittel bereit, um Eigentümer, Vermieter, Mieter und Wohnungsunternehmen zu unterstützen.
Die wachsende Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei der Gebäude-Effizienz ist zwar seit Jahren bekannt und wird von der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft kritisiert. Doch nun gibt es ein neues „Klimaschutz Sofortprogramm 2022“ mit noch mehr Auflagen für die Energieeffizienz, und auch in den Wahlprogrammen der Parteien dreht sich vieles um mehr Dämmung, neue Heizungen oder Fotovoltaik auf den Dächern. Wer das bezahlen und wie das technisch funktionieren soll: unklar.
Für den Präsidenten des Spitzenverbands der Wohnungswirtschaft GdW, Axel Gedaschko, war das jetzt der Anlass für eine Generalabrechnung mit der deutschen Klimaschutzstrategie im Gebäudesektor. Bei der Jahrespressekonferenz des Verbands, in dem rund 3000 öffentliche, genossenschaftliche und private Wohnungsunternehmen mit sechs Millionen bewirtschafteten Wohnungen organisiert sind, erklärte der Verbandschef die Fixierung allein auf mehr Effizienz für praktisch gescheitert.
Seit 2010 habe Deutschland rund 385 Milliarden Euro in energetische Modernisierungsmaßnahmen investiert. Doch der Wärmeverbrauch und damit der CO2-Ausstoß sei kaum gesunken. „Die Klima-Investitionen der vergangenen 30 Jahre haben in den ersten 20 Jahren gewirkt“, so Gedaschko, „aber seit 2010 den Energieverbrauch nicht weiter sinken lassen.“ Ein Grund dafür sei ein Rebound-Effekt. Ist ein Gebäude besser gedämmt, kann man die Heizung hochdrehen, ohne dass höhere Heizkosten entstehen.
Doch dieser Rebound-Effekt erklärt nur einen Teil der verpuffenden Investitionen. Ein weiterer Grund liegt in den Gebäuden selbst. Viele sind bereits zumindest teilweise saniert. Soll die Effizienz dann noch weiter gesteigert werden, gelingt das vereinfacht gesagt nur, indem man beispielsweise eine bestehende Dämmung abreißt und eine neue, noch dickere anbringt. Auf dem Papier sieht das Gebäude dann besser aus und entspricht vielleicht dem geforderten Effizienzhausstandard. Doch in der Praxis stehen Investitionen und Materialaufwand in keinem sinnvollen Verhältnis mehr zur Ersparnis.
„Zu glauben, dass wir das Klimathema durch immer höhere Energiestandards klären können, ist ein Fehler“, so Gedaschko. Laut dem neuen „Klimaschutz-Sofortprogramm“, an dem die Bundesregierung arbeitet, dürfen Neubauten ab 2025 nur noch 40 Prozent der Primärenergie eines Referenzgebäudes verbrauchen. Die Kosten für die dafür nötigen Materialien schießen jedoch nach oben. Styropor etwa verteuerte sich allein seit Anfang 2021 um 40 Prozent.
Und obwohl sich ein klimagerechter Neubau von vornherein besser planen lässt, explodieren auch hier die Kosten. Eine neugebaute Wohnung kostete die GdW-Unternehmen vor zehn Jahren im Schnitt noch 204.000 Euro. Im vergangenen Jahr waren es 284.000 Euro. Das liege zwar auch an höheren Grundstückspreisen, noch stärker jedoch schießen laut GdW-Berechnungen die Baukosten selbst nach oben.
Für Gedaschko steht deshalb fest: Noch mehr Technik und Dämmung führen in die falsche Richtung, nämlich in Richtung Unbezahlbarkeit. Der Verband rechnete aus, was es bedeuten würde, wenn neue Häuser nur noch 40er-Standard haben dürften, gegenüber dem aktuell ohnehin schon strengen Standard des Gebäude-Energiegesetzes, das die Nutzung erneuerbarer Energien bereits vorschreibt: Die Herstellungskosten würden noch einmal um 7,3 Prozent auf 3875 Euro pro Quadratmeter nach oben schießen. Die betriebswirtschaftlich notwendige Kaltmiete würde von 12,93 Euro auf 13,43 Euro klettern.
Das klingt aus Sicht eines Münchener Mieters vielleicht nicht viel, doch bei den Mitgliedsunternehmen des GdW, mit aktuell rund sechs Euro pro Quadratmeter Durchschnittsmiete, ist damit längst eine Grenze überschritten. „Ein Neubau kommt für viele Menschen mit den aktuellen Einkommen einfach nicht mehr in Betracht“, stellt Gedaschko fest.
Für Sanierungen aller Gebäude fehlen Kapazitäten im Bauhandwerk
Damit bringt der GdW die aktuelle Kombination aus Klimaschutz- und Wohnungspolitik auf einen brisanten Punkt: Mit immer höheren Effizienzstandards lässt sich der Bedarf an bezahlbaren Wohnungen nicht decken. „Was das angeht, gibt es Deutschland ein Silodenken“, schimpfte Gedaschko. „Wir wollen bezahlbares Wohnen und mehr Mietenregulierung, aber gleichzeitig immer teurere Klimaschutz-Investitionen. Das geht so nicht zusammen. Auf EU-Ebene denkt man da viel weiter.“
Nicht nur in Sachen Bezahlbarkeit sitze man in Deutschland im Silo. Für ständige aufwendige Sanierungen aller Gebäude fehlten schlicht die Kapazitäten im Bauhandwerk. „Die deutsche Hoffnung, dass wir ganz viele Handwerker aus dem Ausland holen können, ist ein Irrglaube“, sagt er. Auf EU-Ebene soll bald eine „Renovation Wave“ starten, mit der überall in Europa Gebäude energetisch verbessert werden sollen. Ein Handwerksbetrieb aus Polen dürfte dann auf dem ganzen Kontinent lukrative Aufträge bekommen.
„Man sieht jetzt schon, dass manche Klimaziele nicht mit der Realität ein Einklang gebracht werden“, so Gedaschko, „etwa bei der Idee mit der verpflichtenden Fotovoltaik auf den Dächern von Wohngebäuden.“ Abgesehen vom enormen Material- und Kostenaufwand habe sich herausgestellt, „dass wir überhaupt nicht die Kapazitäten haben“.
Längst setzen sich Wohnungsunternehmen mit alternativen technischen Lösungen auseinander, bei denen nicht jedes Gebäude in 20 Zentimeter dicke Dämmung eingepackt, sondern Wärme mit erneuerbaren Energien dezentral in Wohngebieten erzeugt wird. Das würde sowohl CO2 als auch Sanierungskosten sparen.
Der Wohnungskonzern Vonovia etwa experimentiert in Bochum mit einem eigenen Elektrolyseur, der Wasserstoff für die Heizung herstellt. Die dabei entstehende – und häufig als technisches Problem genannte – Abwärme wird ebenfalls zur Warmwasserbereitung genutzt. Nicht einmal zehn Prozent der genutzten Ausgangsenergie soll dabei verloren gehen.
Für Gedaschko führe kein Weg an einer wasserstoffbasierten Wärmeversorgung für den Gebäudesektor vorbei. „Ja, auch Wärmepumpen sind eine Lösung. Aber die Frage ist noch nicht beantwortet, wie wir den dafür notwendigen Strom herstellen wollen – im November, Dezember, Januar.“ Wasserstoff oder andere synthetische Gase hingegen lassen sich im Sommer herstellen und für den Winter speichern.
„Wir brauchen eine Begrenzung bei der Miete“
Ungeklärt ist trotzdem die Frage der Finanzierung. Gebäude-Effizienz, Fotovoltaik, Wärmepumpen, Wasserstoff – der Umstieg auf eine grüne Gebäudeerwärmung dürfte so oder so dreistellige Milliardenbeträge verschlingen. Der GdW schlägt deshalb ein Programm vor, bei dem Wohnungsunternehmen intelligent sanieren, dafür aber staatliche Unterstützung erhalten, wenn sie die Mieten um höchstens 50 Cent pro Quadratmeter (nach Abzug der Wärme-Ersparnis der Verbraucher) erhöhen. „Wir wollen nicht, dass jene, die ohnehin exorbitante Mieten nehmen, auch noch einen Klimazuschuss bekommen. Wir brauchen deshalb eine Begrenzung bei der Miete“, so Gedaschko.
Doch solche übergreifenden Konzepte seien in den Wahlprogrammen nicht zu finden. „Keine der für den Bundestag antretenden Parteien hat einen echten Plan. Das was vorliegt, ist vollkommen unterdimensioniert.“
Und so wünscht sich Gedaschko für die nächste Legislatur wenigstens einen echten Bauminister. „Wir haben jetzt einen Bauminister erlebt, der mit großen Ambitionen gestartet ist“, so Gedaschko in Anspielung auf Horst Seehofer (CSU), der nicht nur Innen-, sondern eben auch Bauminister ist. „Aber er ist schlicht und ergreifend nicht zu dem gekommen, was wichtig gewesen wäre. Wir brauchen jetzt ein eigenständiges Bauministerium.“
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Unerreichbare Klimaziele – „Neubau kommt für viele nicht in Betracht“ - WELT
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